Waffenruhe im Libanon

Sechzig Tage sollen die Waffen vorerst schweigen: Darauf haben sich die libanesische Hisbollah-Miliz und Israel am Dienstagabend geeinigt. Für die Menschen im Libanon ist der Waffenstillstand eine Erlösung. Über 3800 Menschen waren laut dem libanesischen Gesundheitsministerium bei israelischen Angriffen getötet worden, über eine Million vertrieben. Die Weltbank schätzt, dass fast 100 000 Gebäude zerstört oder beschädigt worden sind. Schon bevor das Abkommen in den frühen Morgenstunden am Mittwoch in Kraft trat, stauten sich die Autos auf der Autobahn Richtung Süden: Tausende Menschen machten sich auf den Weg zurück in ihre Städte und Dörfer.

Doch hinter der Erleichterung stehen ­grosse Fragen. Was hat dieser Krieg mit dem Libanon gemacht? Wie soll der Staat, der seit fünf Jahren bankrott ist, mit den Folgen fertigwerden? Viele jener, die jetzt in den Süden fahren, wissen nicht einmal, ob ihr Haus noch steht.

Das Abkommen besiegelt die Nieder­lage der Hisbollah: Im Lauf des Krieges, den sie selbst vom Zaun gebrochen hatte, wurde sie stark geschwächt, fast ihr ganzes Führungspersonal wurde getötet. Nun soll sie sich von der Grenze zurückziehen, die libanesische Armee ihre Waffen konfiszieren. Wohl vor allem deswegen stimmte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu dem Deal überhaupt zu: Er erfüllt alle seine Bedingungen.

Nur was, wenn die libanesische Armee nicht in der Lage ist, das Abkommen umfassend durchzusetzen? Wird Israels Luftwaffe in Zukunft weiter den Süden des Libanon bombardieren, wann immer sie es für opportun hält? Akzeptiert es die Hisbollah, sich auf die Rolle einer politischen Partei zu beschränken – oder wird sie als Miliz, selbst wenn sie keine Gefahr mehr für Israel darstellt, die libanesische Bevölkerung weiter terrorisieren? Werden die anderen Parteien im Land versuchen, wenn nötig mit Waffengewalt, in das Machtvakuum vorzustos­sen, das die schiitische Miliz hinterlassen hat?

Der heisse Krieg ist zunächst zu Ende. Doch was der Waffenstillstand für die Zukunft des Libanon bedeutet, bleibt ungewiss.