32 Jahre trennen Rapper Trettmann von seinem 19-jährigen Newcomerkollegen Jassin. Für die beiden war dieser grosse Altersunterschied kein Grund, nicht zusammen ins Studio zu gehen und den gemeinsamen Song «Nach Hause komm’» aufzunehmen.
Schon die erste Tretti-Line hat es in sich: «Augen auf, weil Feind weilt überall – starre Blicke eiskalt, Schneidezahn auf Asphalt». Der in Chemnitz beziehungsweise Karl-Marx-Stadt geborene Künstler hat die Hip-Hop-Kultur in Ostdeutschland geprägt, erzählt in seinen Texten immer auch über die Lebensrealitäten im Osten und ist dadurch auch so was wie unser Botschafter. Doch damit nicht genug: Trettmann traut sich, offen über den Rechtsextremismus in seiner Heimat zu sprechen. Erst kürzlich tat er das bei ARD Kultur, in der Reportage «Trettmann: Aufs Maul, weil er kein Nazi war», wo er auf seine Erfahrungen mit Neonazis in der Vergangenheit zurückblickt. Gerade für Menschen, die Rassismus oder Diskriminierung erleben, sind diese Erfahrungen kein vergangenes Phänomen, sie sind heute noch präsent und aktuell: «Männertag 2020, zwanzig Deutsche suchen Stress – ich weiss nicht, was wär, hätte sich Ali nicht vor mich gestellt», rappt Jassin deswegen auf dem Track. Die Kollaboration der beiden bringt auf bewegende Weise die Kontinuität rechtsextremer Gewalt in Ostdeutschland zum Ausdruck.
Was den Track für mich so stark macht, ist, dass er so ehrlich ist und auch eine gewisse Verletzlichkeit an den Tag legt. Zum Beispiel wenn Jassin davon rappt, dass seine «siebzig Kilo» eben auch in der Bomberjacke nur siebzig Kilo bleiben, oder wenn er im Refrain singt: «Immer wenn ich nach Hause komm’, hat meine Mom ’ne neue Falte im Gesicht. Bis jetzt immer heile rausgekomm’n, doch sie spiegelt meine Angst in ihrem Blick.»
Diese Angst, die Jassin und seine Mutter haben, können meine Eltern und ich gut nachvollziehen – genau wie Trettmann dreissig Jahre früher. Dass Angst und Verletzlichkeit nicht dazu führen, dass wir unsere Fresse halten, eint uns und begeistert mich an Jassin und Trettmann. Sie reden nicht nur, sie machen: Jassin tourt mit Konzerten durch ostdeutsche Kleinstädte, spielt auch mal auf Demos, und Trettmann ist mit vielen seiner Texte zu einer Identifikationsfigur für Ostdeutsche geworden. Tretti und Jassin haben infolge des Songs nun auch eine Spendenaktion für Betroffene von rechter Gewalt gestartet.
Genau wie sich unsere Erfahrungen und Ängste einen, muss sich auch unser Kampf um Demokratie, Menschenrechte und gegen Faschos einen – generationsübergreifend.
Jakob Springfeld (22) ist eines der Gesichter der linken Gegenöffentlichkeit Ostdeutschlands. Sein 2022 erschienenes Buch «Unter Nazis» trägt auch deshalb den Untertitel «Jung, ostdeutsch, gegen Rechts». In seiner wöchentlichen Kolumne berichtet er bis zum Jahresende jeweils freitags aus seiner Lebensrealität als antifaschistischer Aktivist in Sachsen.