Neue Verachtung statt Freude über Assads Sturz

Es sind extrem beeindruckende Bilder, die derzeit aus Syrien an die Aussenwelt dringen: Menschen werden aus Assads Foltergefängnissen befreit und verlassen ihre Zellen in völligem Unglauben darüber, was hier gerade passiert – das Regime, das sie unschuldig eingekerkert hat, ist verschwunden. Nach 54 Jahren. Es sind Bilder wie diese, die so klar zum Ausdruck bringen, was diese Tage für die Syrer:innen bedeuten: Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit haben sie Hoffnung auf eine bessere Zukunft, weil es ohne den Diktator Baschar al-Assad zumindest eine Chance dafür gibt. Auch wenn gleichzeitig sehr fraglich ist, ob die islamistischen Milizen ihr Versprechen von einem «Syrien für alle» ernst meinen – und ob es dem Land nun tatsächlich gelingen kann, eine Demokratie aufzubauen.

Die einzig angemessene Reaktion, die die Aussenwelt – inklusive Politiker:innen – nun zeigen könnte: Freude über das Ende der Diktatur, Sorge über die Zukunft, Unterstützung. Doch keine 48 Stunden nach dem Ende des syrischen Regimes sind die populistischen Forderungen schon da: In Deutschland sagte etwa die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht: «Von den Syrern, die hierzulande die Machtübernahme durch Islamisten bejubeln, erwarte ich, dass sie möglichst bald in ihr Heimatland zurückkehren.» Und der CDU-Fraktionsvorsitzende Jens Spahn doppelte nach: «Wie wäre es, wenn die Bundesregierung sagt: Jeder, der zurückwill nach Syrien, für den chartern wir Maschinen, der bekommt ein Startgeld von tausend Euro.»

In der Schweiz sprang erwartungsgemäss die SVP auf den Zug auf: Parteichef Marcel Dettling sagte zum «Blick»: «Wenn Syrer hier über das Ende von Assad jubeln, sollen sie auch gleich alle retour, aber subito!»

Dass die Rechte keine Gelegenheit auslässt, mit Hetze gegen Migrant:innen auf Stimmenfang zu gehen – geschenkt. Im Fall der Syrer:innen ist dies besonders zynisch: Vierzehn Jahre lang hat die internationale Gemeinschaft das Land weitgehend im Stich gelassen. Nun, da es sich seines Diktators entledigt hat, schlägt den Syrer:innen sofort neue Verachtung entgegen.

Realistisch sind die Forderungen ohnehin nicht. Einerseits gehen sie komplett an der Situation in Syrien vorbei: Nach fast vierzehn Jahren Bürgerkrieg sind das Land und seine Strukturen weitgehend zerstört. Wie sich die Sicherheitslage entwickeln wird, ist völlig ungewiss – gerade für Minderheiten wie die Kurd:in­nen oder für die Frauen. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) schreibt denn auch: «Solange dies nicht einigermassen ersichtlich ist, ist es zu früh für grundlegende Entscheide.» Andererseits suggerieren sie eine völlig falsche Realität in den europäischen Ländern: In der Schweiz leben derzeit rund 28000 Syrer:inne. Der grösste Teil von ihnen, nämlich 22000, haben eine dauerhafte Aufenthaltsbewilligung. Darunter sind Menschen, die wegen persönlicher politischer Verfolgung Asyl erhalten haben; manche sind mit Schweizer:innen verheiratet, haben hier Familien gegründet. Nur 6000 Syrer:innen haben eine vorläufige Aufnahme und müssten die Schweiz verlassen, sollte das SEM seine Praxis ändern. Doch selbst dann könnten diese Menschen nicht einfach zurückgeschafft werden, solange mit Syrien kein Rücknahmeabkommen besteht.

Doch einen Erfolg haben die Rechten, die nicht «nur» rasche Rückschaffungen, sondern auch einen «Asylstopp» verlangen, schon erzielt: Wie zuvor bereits Deutschland, Österreich und Grossbritannien hat die Schweiz am Montag entschieden, Asylgesuche aus Syrien vorerst zu «sistieren», bis die Situation neu beurteilt werden könne. Heisst: Wer derzeit ein Asylgesuch hängig hat, wird im Stapel des SEM auf unbestimmte Zeit nach unten sortiert – und in der Warteschleife belassen. Lösungen schafft das SEM damit nicht, hingegen stärkt es die rechten Agitator:innen. Dabei gäbe es – wie es etwa SP und Grüne fordern – viele wirklich wichtige Debatten zu führen: Wie kann die Schweiz dazu beitragen, dass die Menschenrechte vor Ort eingehalten werden? Was tut sie, um Rojava vor der Türkei zu schützen? Wie leistet sie Wiederaufbauhilfe? Die syrischen Geflüchteten verdienen derweil vor allem eins: Respekt.