Umsturz in Syrien: Endlich eine Zukunft

Nr. 50 –

Menschen in Damaskus feiern das Ende des Assad-Regimes
Am Montag wird in Damaskus das Ende des Assad-Regimes gefeiert. Foto: Bilal Al Ahammoud, Keystone

Syrien ist frei. Am frühen Sonntagmorgen haben oppositionelle Milizen unter Führung der islamistischen Haiat Tahrir al-Scham (HTS) die Hauptstadt Damaskus eingenommen, ohne auf Widerstand zu stossen. Das Staatsfernsehen – der Propagandakanal der Regierung – übertrug kurz darauf eine Videobotschaft, in der verkündet wurde, das Regime Baschar al-Assads sei gestürzt worden.

Das Ende der dynastischen Assad-Diktatur nach mehr als einem halben Jahrhundert ist von gewaltiger historischer Tragweite für die Region. Selbst innerhalb eines Gebiets, das von Autokraten dominiert wird, war die syrische Herrschaft eine der brutalsten. Das wurde in den letzten Tagen noch einmal deutlich. Selbst wenn man in den vergangenen Jahren die Berichte von Menschenrechtsorganisationen über die syrischen Folterstätten gelesen hatte – die Videos aus dem Inneren des grössten Gefängnisses Saidnaya, die nun in den sozialen Medien kursierten, waren kaum auszuhalten: dürre Männer und Frauen, die teilweise kaum laufen konnten. Ein Mann, der sich auf Nachfrage nicht an seinen Namen erinnern konnte. Galgenstricke, Berge weggeworfener Schuhe und Kleider von ermordeten Gefangenen.

Die Brutalität des Assad-Regimes war der Hauptgrund dafür, warum eine politische Lösung des Syrienkriegs undenkbar war, solange er an der Macht blieb: Zu viel Blut war seit dessen Beginn 2011 geflossen. Über 5,5 Millionen syrische Geflüchtete leben seither ausserhalb des Landes. Die Mehrheit von ihnen wäre niemals unter Assads Herrschaft zurückgekehrt – zu gross die Angst, selbst verhaftet zu werden. Denn dafür reichte unter Umständen schon ein regimekritischer Facebook-Post oder dass einen jemand aus persönlicher Feindschaft heraus beim Geheimdienst anschwärzte.

Wie es in Syrien nun politisch weitergeht, ob der Wandel hin zu einem demokratischen Rechtsstaat gelingt, lässt sich im Moment nicht sicher sagen. Denn angeführt wurde die Offensive von der HTS, die sich zwar in den letzten Jahren gemässigt hat, in Idlib jedoch seit 2017 autoritär regiert und ebenfalls Kritiker:innen einsperrt.

In den letzten zwei Wochen aber gaben sich die Milizen alle Mühe, Minderheiten wie Christ:innen und Kurd:innen zu beruhigen: In zahlreichen Statements schrieben sie, diese seien ein integraler Teil der syrischen Gesellschaft. Das ist bemerkenswert, schliesslich entstand die HTS als Abspaltung der Terrororganisation «Islamischer Staat» und schwor später der al-Kaida die Treue. Damals, vor zehn Jahren, hatten sich die Islamisten keinen Deut darum geschert, wie ihre Herrschaft von Minderheiten wahrgenommen wird.

Auch erste gesetzliche Erlasse nach der Machtübernahme sind vielversprechend. Etwa die Amnestie für Angehörige der Assad-Armee, die zum Pflichtdienst eingezogen worden waren, und das Verbot persönlicher Racheakte gegen diese. Oder die Anweisung, dass staatliche Institutionen wie gewohnt weiterarbeiten sollten: ein zentraler Schritt, um zu verhindern, dass diese Institutionen nach dem Ende des Regimes gleich mit zerbrechen. Dann nämlich würde ein Szenario drohen wie 2003 im Irak oder 2011 in Libyen, wo nach dem Zusammenbruch der Diktatur auch der Staat kollabierte und Chaos und Bürgerkrieg ausbrachen.

Eine andere Frage ist, wie die Regionalmächte auf die Entwicklungen in Syrien reagieren werden. Einige von ihnen haben viel investiert, um eine echte Demokratie im Nachbarland zu verhindern – entweder indem sie wie Saudi-Arabien die radikale Opposition in den ersten Jahren mit Milliarden unterstützten; oder indem sie wie der Iran, Russland und später die Emirate sich für den Machterhalt Assads einsetzten. Die israelische Luftwaffe hat derweil in den vergangenen Tagen über 350 Ziele der ehemaligen Regimearmee bombardiert und dabei Militärschiffe, Luftabwehrsysteme oder Waffenfabriken zerstört. Zudem rückten Truppen auf den von Israel besetzten Golanhöhen weiter auf syrisches Gebiet vor.

Syrien, wo 2011 der friedliche Aufstand gegen das Assad-Regime vom ersten Tag an mit Gewalt bekämpft wurde, diente Diktatoren in der ganzen Region als abschreckendes Beispiel für ihre Bevölkerung: Wagt es nicht, euch gegen uns zu erheben, so die Botschaft, sonst droht euch das gleiche Schicksal wie Syrien, wo der demokratische Aufstand niedergeschlagen wurde. Am Ende blieb nur noch die vermeintliche Wahl zwischen diktatorischer Unterdrückung oder islamistischem Terror.

Auch wenn die Zukunft Syriens noch völlig ungewiss ist – zumindest hat das Land jetzt, nach dem Sturz Assads, überhaupt eine. Eine Zukunft, die die Menschen in Syrien nun hoffentlich selbst bestimmen. Trotz allem, was auf diesem Weg schiefgehen könnte: Man sollte die Syrer:innen nicht unterschätzen, die seit dem Arabischen Frühling dreizehn Jahre lang für ihre Freiheit gekämpft und dafür so viele Opfer gebracht haben. Es ist schwer vorstellbar, dass sie sich nach all dem kampflos einer neuen Diktatur unterordnen würden.