#metoo: Adèle Haenel bekommt recht
Er brachte #metoo in die französischen Filmwelt: der Fall der Schauspielerin Adèle Haenel («Portrait de la jeune fille en feu»), die vom Regisseur Christophe Ruggia über Jahre missbraucht worden war. Während der Dreharbeiten zu «Les Diables» (2002) hatte Ruggia die damals zwölfjährige Haenel immer wieder bedrängt und angefasst. Die Übergriffe endeten erst 2004, als Haenel fünfzehn Jahre alt war. Anfang dieser Woche ist Ruggia nach einem mehrwöchigen Prozess wegen sexuellen Missbrauchs zu vier Jahren Haft verurteilt worden, davon zwei auf Bewährung.
Ruggias Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Vor Gericht bestritt er Haenels Vorwürfe auf perfideste Weise. So mutmasste er beispielsweise, dass Haenel sich an ihm rächen wolle, weil er ihr nach «Les Diables» keine weiteren Rollen gegeben habe – ein absurder Vorwurf angesichts der Tatsache, dass hier eine erfolgreiche Schauspielerin gegen einen weitgehend unbekannten Regisseur klagt. Nachdem Ruggia am zweiten Prozesstag ausgesagt hatte, er habe Haenel schützen wollen, verlor sie die Geduld. «Mais ferme ta gueule!» («Halt deine Fresse!») schrie sie ihn an und verliess den Gerichtssaal.
Interessant ist in diesem Fall die Rolle der Medien. Haenel hatte zunächst jahrelang mit sich gerungen, ehe sie den Missbrauch 2019 im Onlinejournal «Médiapart» öffentlich machte. Der Publikation war eine ausführliche Recherche vorangegangen, in deren Zug «Médiapart»-Journalistin Marine Turchi gegen dreissig Zeug:innen befragt und Beweisdokumente zusammengetragen hatte. Auf dieser Grundlage hatte die Pariser Staatsanwaltschaft vor einem Jahr angeordnet, den Prozess gegen Ruggia zu eröffnen – der daraufhin versuchte, die Vorwürfe als mediale Hetzkampagne zu diffamieren.
Am Tag nach der Urteilsverkündung äusserte sich Adèle Haenel in der «Médiapart»-Sendung «À l’air libre». Sie begründete ihren Gang an die Medien damit, dass sie vom Justizsystem keine Gerechtigkeit erwartet habe. Es sei Teil einer patriarchalen Ordnung und schütze zu oft diejenigen, die diese Ordnung stützten. Die Unschuldsvermutung, auf die auch Ruggia sich berufen hatte, diene dazu «jede Äusserung zum Thema sexuelle Gewalt innerhalb des Gerichtsgebäudes zu delegitimieren». Nach Angaben des französischen Justizministeriums werden etwa siebzig Prozent der Anzeigen wegen sexueller Übergriffe ohne weitere Massnahmen eingestellt.
Haenel plädiert dafür, sexualisierte Gewalt nicht auf ein juristisches Problem zu reduzieren. Statt Strafmasse zu verhandeln, sagt sie, müsse die Frage lauten: «Wie schaffen wir die Bedingungen für eine Gesellschaft, in der diese Verbrechen nicht derart häufig vorkommen?»