Vergewaltigungsprozesse: Mächtige Männer meinen weiter, das sei ihr Recht

Nr. 23 –

Die Fälle Kachelmann und Dominique Strauss-Kahn zeigen immerhin, dass sexuelle Gewalt gegen Frauen auch in den Zonen der Macht kein Kavaliersdelikt mehr ist.


In seinen «Geschichten vom Herrn Keuner» berichtet Bertolt Brecht von der Rechtssitte im alten China, für grosse Prozesse Richter aus entfernten Provinzen heranzuziehen. Man hielt sie für weniger bestechlich und traute ihnen zu, das Auffällige einer Sache deutlicher wahrzunehmen und um der Tugend der Objektivität willen nicht andere Tugenden zu verletzen. Im Fall des Herrn Kachelmann, der nach 132 Haft- und 44 spektakulären Verhandlungstagen am Dienstag letzter Woche den Mannheimer Gerichtssaal als freier Mann verliess, hätte man sich manchmal auch gewünscht, seine Richter wären aus einem weit entfernten Land gekommen und hätten nicht unter dem Dauerdruck gestanden, die «Unabhängigkeit der deutschen Justiz», wie FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger postwendend lobte, unter Beweis zu stellen.

Selten hat ein Prozess die deutsche Öffentlichkeit so aufgewühlt und gespalten wie das Verfahren gegen den Schweizer Wettermoderator und TV-Dampfplauderer Jörg Kachelmann, den seine ehemalige Freundin beschuldigt hatte, sie in der Nacht vom 8. auf den 9. Februar 2010 tätlich bedroht und vergewaltigt zu haben. Als Kachelmann eineinhalb Monate später vom Frankfurter Flughafen weg in Handschellen abgeführt wurde, ging sein Name im Zusammenhang mit dem Tatvorwurf bereits durch die Medien. Für den Boulevard ein gefundenes Spektakel, das insbesondere die «Bild»-Zeitung zu einer Kampagne auftrieb, als sie mit der Vorzeige-Feministin Alice Schwarzer eine Prozessbeobachterin gewann, die sich von Anfang an gegen Kachelmann und für das mutmassliche Opfer positionierte.

Fast reflexhaft konterten die sogenannten seriösen Blätter diese pikante mediale Vermählung, indem sie die Unschuldsvermutung für Kachelmann in die Waagschale warfen. Die publizistische Schlammschlacht, bei der Verschlussakten wundersame Wege in die Medien fanden, Pranger aufgestellt und wieder abgerissen wurden und nicht nur Kachelmann und seine Exfreundin, sondern auch das Mannheimer Gericht tribunalisiert wurden, machte ein «normales» Verfahren von Anfang an unmöglich. In Annäherung an die US-amerikanische Gerichtsbarkeit traten Staatsanwaltschaft und Verteidiger als Duellanten auf die Prozessbühne und brachten sich, sekundiert von den Medien, Mensuren bei, während der Vorsitzende Richter dieses Männlichkeitsrituals (an dem auch eine verteidigende Frau beteiligt war) eher überfordert begleitete.

Folge der Neuen Frauenbewegung

Im ganzen Medienzauber ausgeblendet blieb das wirklich Sensationelle des Ereignisses: Das, was zumindest unter den Schönen, Mächtigen und Reichen noch immer als Kavaliersdelikt gilt, der sexualisierte Übergriff auf Frauen, wird als strafwürdige Handlung erkannt, und die mutmasslichen Täter – wie jeder gewöhnliche Triebtäter, der durchs Land gehetzt wird – sind vor Gericht gebracht worden. Noch dramatischer hat dies der Fall von Dominique Strauss-Kahn (DSK) vorgeführt. Dem französischen Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird vorgeworfen, eine Hotelangestellte vergewaltigt zu haben: Ja, es ist möglich, dass sich eine schwarze Frau aus der Unterschicht gegen die männlich-weisse Hegemonie zur Wehr setzt, möglicherweise sogar mit Erfolg. Das ist, betrachtet man die Geschichte der Geschlechter, geradezu unerhört und zweifelsfrei eine Folge der Neuen Frauenbewegung, die Vergewaltigung überhaupt erst ins Bewusstsein gehoben und skandalisiert hat.

Geht man im Fall DSK nicht von einer Verschwörung dunkler Mächte gegen eine fragwürdige Lichtgestalt des internationalen Geldumschlags aus, dann hängt der Ausgang des Verfahrens davon ab, wie glaubwürdig die betroffene Frau eingeschätzt wird. Das war auch im Fall Kachelmann so: Da es keine Zeugen der Ereignisse in der besagten Februarnacht gab, stand die Aussage von Claudia D. gegen diejenige Kachelmanns, der die Tat leugnete. Das Problem dabei ist bekannt und eine normale Begleiterscheinung bei Delikten im Nahbereich: Motive können sich durchaus mischen, Verwirrung, Angst und Rachegefühle widersprüchliche Aussagen hervorbringen und die Glaubwürdigkeit erschüttern.

Doch wenn es um sexualisierte Gewalt geht, sind Klägerinnen dieser Unterstellung besonders perfide ausgesetzt, angetrieben von einer umtriebigen und immer einflussreicher werdenden Männerrechtsfraktion, die schon seit je zu wissen glaubte, dass Frauen es nur darauf absehen, Männer über den Tisch zu ziehen und ihnen zu schaden. Dieses tief empfundene Misstrauen reicht weit in die Gesellschaft hinein – es ist ein Sediment aus einer Zeit, als Frauen noch als Hexen verbrannt wurden.

Dieses Misstrauen ist aber auch sprechend. Denn entgegen dem Boulevard, der mit Sex Schlagzeilen macht und daran verdient, und entgegen gut meinenden Publizistinnen wie Jana Hensel, die sich kürzlich in der Wochenzeitung «Freitag» über das angebliche «Sex-Tabu» in den Schlafzimmern ausliess und dafür plädierte, «das Liebesleben deutscher Repräsentanten öffentlich zu machen», geht es bei sexualisierter Gewalt ja gerade nicht um die rätselhaften Seiten männlichen Sexes, sondern um eine höchst bekannte, um Dominanzstreben. Von aussen verliehene Macht und sexuelle Gewalt gehen dabei eine besonders prekäre Koalition ein, weil mächtige Grenzverletzer immer noch glauben, das gehöre zu ihrem Recht. Dieses «Alphamännchen-Syndrom», wie es die Kulturwissenschaftlerin Gabriele Dietze in der «taz» nennt, ist in den Zonen der Macht besonders verbreitet.

Der nächste Irrtum

Gleichgültig also, ob Kachelmann seiner Freundin das Messer an den Hals gehalten oder DSK die behauptete Gewalt ausgeübt hat: Alleine dass wir es uns vorstellen können (und das nur in Bezug auf Männer und nicht umgekehrt), sagt etwas über gegenwärtige Machtverhältnisse aus – trotz aller hart erstrittenen Strafparagrafen. Von Alice Schwarzers sattsam bekannter Profilierungssucht einmal abgesehen, dürfte dies das Motiv gewesen sein, das sie in die Umarmung der «Bild»-Fettlettern trieb – was der Sache wahrscheinlich mehr geschadet als genutzt hat. Kachelmann wurde mangels Beweisen freigesprochen, das ist rechtsstaatlich nicht zu bekritteln. Die Folgen dieses Freispruches beklagen Frauen- und Opferverbände, die im Urteil ein «fatales Signal» sehen. Terre de Femmes befürchtet, dass sich Frauen künftig noch weniger trauen, eine Vergewaltigung zur Anzeige zu bringen. Die öffentliche Vorverurteilung der Exfreundin Kachelmanns schüchtere die Betroffenen ein. Tatsächlich ist die Zahl der Anzeigen wegen Vergewaltigung rückläufig.

Die Mannheimer Richter könnten indes bei Herrn Keuner Trost finden. Auf die Frage, woran er arbeite, antwortet dieser: «Ich habe viel Mühe, ich bereite meinen nächsten Irrtum vor.»