Steuern sind sexy

Seit einigen Jahren forsche ich nun zu Steuern und frage mich immer wieder: Wie konnte das wichtigste Instrument, das Demokratien und solidarische Gemeinschaften erst ermöglicht, derart pervertiert werden, dass manche es sogar als Raub bezeichnen?

Würden wir eine Umfrage auf der Strasse durchführen, würde die Mehrheit der Menschen Steuern mindestens als eine Last bezeichnen. Doch wenn wir einen Schritt zurückträten, müssten wir feststellen: Wir haben diese Strasse überhaupt nur, weil wir Steuern zahlen.

Ich habe eine ganze Weile in anderen Ländern gelebt, in denen die Steuereinnahmen des Staates sehr viel niedriger sind als hierzulande – zum Beispiel in Mexiko. Dass vor allem arme Menschen unter einem schwachen Wohlfahrtsstaat leiden, ist offensichtlich: Es fehlt an guten Schulen, Infrastruktur, Sportanlagen, Krankenhäusern, Bibliotheken, Lehrkräften und vielem mehr.

Doch auch die Reichen profitieren nicht von einer niedrigen Steuerquote. Am Ende des Monats bleibt auf dem Gehaltscheck vielleicht mehr Netto vom Brutto. Doch dafür müssen sie auch mehr für die Wachleute vor ihren Gated Communities ausgeben, mehr Geld in private Bildung investieren, bei jedem Arztbesuch das Portemonnaie zücken und leiden allesamt darunter, dass es um die Strassen und die Sicherheit um Welten schlechter bestellt ist als etwa hierzulande.

Steuern sind weder Last noch Raub. Sie sind der Preis für zivilisierte, moderne und gerechte Gesellschaften – ja, das wichtigste demokratische Instrument überhaupt. Sie finanzieren nicht nur Bildung, Infrastruktur und Gesundheit oder lenken unser Verhalten (wie etwa bei Tabaksteuern). Vor allem können sie als Werkzeug der Gerechtigkeit dienen, um die immer grösser werdende Kluft zwischen Überreichen und dem Rest zu verringern. Tatsächlich waren hohe, progressive Vermögensteuern im 20. Jahrhundert der wichtigste Faktor zur Reduzierung der Vermögensungleichheit. Und zu diesem Instrument müssen sie wieder werden.

Steuern sind keine Last. Sie sind das Fundament unseres Zusammenlebens.

An dieser Stelle lesen Sie immer freitags einen Text von Martyna Berenika Linartas. Linartas forscht zu Vermögensverteilung und Umverteilung. Dazu lehrt sie in Berlin und in Koblenz. 2022 hat sie die Wissensplattform ungleichheit.info mitgegründet. Im Frühjahr 2025 erscheint ihr Buch «Unverdiente Ungleichheit. Wie der Weg aus der Erbengesellschaft gelingen kann».