Erben ist keine Leistung
Als Deutschland 1919 zur Demokratie wurde, nahm sich der damalige Finanzminister Matthias Erzberger als Erstes die Erbschaftsteuer vor. Er wusste um ihre Bedeutung: Ohne eine hohe, progressive Erbschaftsteuer – die damals bis zu neunzig Prozent betrug – wäre es unmöglich gewesen, die Demokratie langfristig zu festigen und die alten Machtverhältnisse von Monarchie und Adel zu überwinden. Und heutzutage? In Österreich wurde die Erbschaftsteuer 2008 abgesetzt, in Deutschland derart ausgehöhlt, dass sie einer Bagatellsteuer gleichkommt, und in der Schweiz macht es jeder Kanton, wie er mag. In der Summe kommt auch da nicht viel bei rum.
In Deutschland machen aktuell Ideen die Runde, wonach die Erbschaftsteuer «flat» – also einheitlich – auf alles und alle gesetzt werden sollte. Doch eine Flat Tax wäre fatal. Zum einen würde sie dem Leistungsfähigkeitsprinzip Hohn sprechen. Starke Schultern können und sollten also auch mehr stemmen. Nicht ohne Grund ist die Einkommensteuer progressiv angelegt; nicht ohne Grund sind Vorschläge für Vermögensteuern progressiver Natur. Der zweite wichtige Grund wäre die damit einhergehende Konsolidierung der Erbengesellschaft. Wenn die Erbschaft- und Schenkungsteuer nicht hoch und progressiv angelegt ist, würde die Schere zwischen reichen Erben und dem Rest immer weiter aufgehen. Das ist der Zinseszinseffekt – oder auch Mathe, achte Klasse: grössere Vermögen würden schneller wachsen, weil im wahrsten Sinne des Wortes nicht dagegen angesteuert würde.
Erbschaften spielen die Hauptrolle, wenn es um die groteske und wachsende Vermögensungleichheit geht. Gleichzeitig werden sie im DACH-Raum kaum bis gar nicht besteuert. Matthias Erzberger würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, dass aus dem Schwert der Demokratie, aus der Steuer, die der Monarchie den Todesstoss verpassen sollte, nun ein hölzerner Kochlöffel geworden ist.
Wenn wir eine starke Demokratie wollen, in der sich Leistung lohnt, dann müssen auch reiche Erb:innen einsehen: Es ist die Leistung, die niedriger besteuert gehört – und nicht etwa das «unverdiente Einkommen» (John Stuart Mill). Ganz einfach, weil Erben keine Leistung ist.
An dieser Stelle lesen Sie immer freitags einen Text von Martyna Berenika Linartas. Linartas forscht zu Vermögensverteilung und Umverteilung. Dazu lehrt sie in Berlin und in Koblenz. 2022 hat sie die Wissensplattform ungleichheit.info mitgegründet. Im Frühjahr 2025 erscheint ihr Buch «Unverdiente Ungleichheit. Wie der Weg aus der Erbengesellschaft gelingen kann».