Wohndemo: Keine Miete für niemand

Diesen Artikel hören (6:28)
-15
+15
-15
/
+15

Mit einer vielfältigen, bunten und lautstarken Kundgebung haben am Samstag Tausende Menschen in Zürich für bezahlbaren Wohnraum demonstriert. Aufgerufen hatte ein breites Bündnis – dem Aufruf sind auch WOZ-Mitarbeiter:innen gefolgt. Hier teilen einige von ihnen ihre Anekdoten, Beobachtungen und Gedanken zur Demo.

Limmatquai, kurz vor 14 Uhr. Eine Gruppe Pöstler:innen stimmt den Demoklassiker «El pueblo unido» an. Drüben auf dem Lindenhof entzünden Autonome ein Feuerwerk. Selbstgebastelte Häuser, bunte Wägelchen, überlebensgrosse Fantasiefiguren: Der Protest gegen die eskalierende Wohnungskrise in Zürich lebt auch von seiner Breite. Er eint die Menschen in einer Stadt, in der sich die grossen Techkonzerne an bester Lage eingenistet haben, während in den Quartieren die grosse Verdrängung weitergeht. Denn je erfolgreicher das Standortmarketing, desto weniger lebenswert wird eine Stadt. Auf diesen Missstand weisen auch verschiedene kreative Graffiti entlang der Demoroute hin. Eins davon, gleich beim Hauptbahnhof, nimmt den Finanzvorsteher der Stadt in die Pflicht: «Leupi du Pfluume, hör uf ruume.» Anna Jikhareva

*

Da hat sich wohl einer in der Veranstaltung geirrt, denkt man kurz, als der gut gekleidete, aber schlecht frisierte junge Herr auf einem der Demowagen die Mietkosten für eine Zwanzig-Quadratmeter-Wohnung am Limmatquai referiert – dort, wo man gerade vorbeimarschiert. 2500 Franken im Monat seien doch skandalös günstig, meint er. Auf dieser Fläche bekomme man spielend fünf Betten unter, könne sich also die Miete problemlos teilen. Tatsächlich ist diese Sichtweise auf den Wohnungsmarkt nicht mal wesentlich obszöner, als es die Realitäten desselben schon selber sind. Womöglich zeigt sich derzeit nirgends deutlicher als beim Wohnen, welche absurden Folgen die Kommodifizierung elementarer Bedürfnisse zeitigt. Zumindest schien am Samstag die Sonne noch gratis. Daniel Hackbarth

*

15.30 Uhr, die Demo zieht am Hauptbahnhof vorbei Richtung Kreis 5. Die Autos auf der Gegenfahrbahn bleiben stecken. Viele kommen aus anderen Kantonen: Aargau, auch Solothurn, Basel, Waadt. Schnelle, protzige Autos – man kommt am Wochenende nach Zürich, um sich zu zeigen. Was auffällt: Niemand schimpft oder hupt; die Fahrer:innen bleiben ruhig, stoisch. Denken manche an die eigenen Mietkosten? An das für Autokauf oder -leasing mühsam zusammengekratzte Geld, das knappe Budget? Ist diese Demo auch ein bisschen für sie? Bettina Dyttrich

*

«Nur noch für den Mietzins schaffen, da wären wir schöne Affen. Darum Mieterstreik!» Das skandierten Arbeiter:innen in Zürich schon 1932. Der Kampf gegen Wohnungsnot, Mietwucher und Spekulation zieht sich seit der Industrialisierung wie ein roter Faden durch die Stadtgeschichte. Was nützen gute Löhne, wenn alles für die Miete draufgeht? Das Recht auf Eigentum ist angesichts der knappen Wohn- und Bodenverhältnisse ein Recht auf Abzocke. Es genügt nicht, dass die Stadt auch ein bisschen auf diesem «Markt» mitmischt, der Staat muss die Spielregeln grundlegend ändern. Die Demonstration vom Samstag lässt hoffen, dass der Druck dazu weiter steigt. Denn ohne Druck der Strasse geht in dieser Stadt gar nichts. Daniel Stern

*

Es gibt Demos, da wirkt er etwas fehl am Platz: der revolutionäre Block mit seinen Parolen ums grosse Ganze. Ganz anders bei dieser Wohndemo. Hier geht es nicht nur darum, sich von der pseudo-rot-grünen Politik der städtischen Exekutive abzugrenzen, eine progressive Bodenpolitik führt bekanntlich auch direkt zur Systemfrage. Laut «Tages-Anzeiger» wurde es SP-Nationalrätin Jacqueline Badran bei einer der beliebtesten Parolen dann doch zu viel: «Was hät jetz das mit de Schmier z tue?» soll sie auf die Kampfrufe gegen Yuppies und Polizei eingeworfen haben. Das hat alles sehr viel mit der «Schmier» zu tun, liebe Frau Badran, denn wer bringt die wilde Bar zum verstummen, wenn die Yuppies in ihrem neuen Tempel an der Langstrasse schlafen wollen? Wer entfernt die unliebsamen Elemente aus den Strassen? Oder gar renitente Mieter:innen, die sich weigern, ihr Zuhause aufzugeben? David Hunziker

*

Es ist ja ein archaisches Bedürfnis, gemeinsam zu singen. Kein selbstgebasteltes Love Mobile, ausgestattet mit scheppernden Lautsprechern, die dröhnende Bewegungsmusik von sich gibt, kann das klassische Skandieren von Parolen ersetzen. Im besten Fall regen diese sogar zum Nachdenken an. Dann etwa, wenn wir durch den Zürcher Kreis 4 laufen und «Eusi Strasse, euses Quartier!» skandieren, als Gruppe, die überwiegend aus nicht rassifizierten Leuten besteht, die Rennvelos neben sich herschieben. Ist das nicht gerade das Problem? Oder wenn wir beim Hauptbahnhof vorbeigehen und gut gelaunt «Hüser bsetze, Bonze schletze» rufen, neben uns eine Kolonne von Lamborghinis und Porsches. Schön ist das alles trotzdem, und gute Laune macht es sowieso. Lukas Tobler

*

Einen Tag nach der Wohndemo durch ein stilles Sonntagsaltstetten zu schlendern, vorbei an Neubauten, Baugespannen und eingepackten Fassaden, macht auch ein bisschen müde. So viel unwiederbringlich Verlorenes, so viel ästhetisch Beleidigendes. Gut, dass die Wohndemo so gross, laut und radikal war: Es geht eben nicht bloss um Mietendeckel und Genossenschaften, es geht vor allem auch um den Angriff auf das Eigentum. Eine der vielleicht treffendsten Forderungen war auf einem Transparent zu lesen, das von der Brücke über der Langstrassenunterführung hing: «Keine Miete für niemand». Daria Wild