Wohnkrise: Baugespanne fürs Hochglanzquartier

Nr. 14 –

Ein breites Bündnis ruft in Zürich zur Demonstration gegen eine immer teurer werdende Stadt auf. Ausgerechnet wer in deren Grundversorgung arbeitet, findet kaum noch eine Wohnung.

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«Abrisshäuser» und Hochhausneubau in Zürich Altstetten
Nach Leerkündigungen steigt das durchschnittliche Haushaltseinkommen um 3600 Franken pro Monat: «Abrisshäuser» und Hochhausneubau in Zürich Altstetten.

Zum Beispiel Altstetten: Wo in der Nähe des Stadions eben noch eine gottverlassene Autogarage vor sich hin gähnte, wird ein achtzig Meter hoher Rohbau in den Himmel gezogen. Die Visualisierungen der Hiag Immobilien Holding AG zeigen eine langweilige Hochglanzfassade und mit Designermöbeln eingerichtete Wohnungen. Die günstigste 4,5-Zimmer-Wohnung wird 4410 Franken im Monat kosten, je nach Stockwerk auch fast 6000 Franken. Fürs Parterre sucht man noch «Geschäfte, die gute Geschäfte machen wollen».

Wenige Meter davon entfernt wird nicht nur neu gebaut, sondern auch sehr viel abgerissen: Zwischen Hochhaus und Einkaufszentrum hat die Halter Immobilien AG bereits Baugespanne errichtet und 600 Mieter:innen gekündigt. Noch stehen die 317 günstigen Wohnungen aus den siebziger und achtziger Jahren. Ein paar Meter weiter wieder Baugespanne: Hier mussten rund 200 Mieter:innen einem Umbau weichen. Und selbst der Letzipark, dieses in den achtziger Jahren noch in der Peripherie errichtete Shopping-Alpamare, wird gerade komplett saniert. Auf der Website ist von «Revitalisierung» die Rede, als wäre hier irgendwas tot. Dabei ist klar, worum es geht: Der Letzipark wird auf die Portemonnaies der kommenden Quartierbewohner:innen ausgerichtet.

Man kennt das auch aus vielen anderen Ecken des Quartiers, den übrigen Zürcher Stadtteilen und selbst aus der Agglomeration. Im Dezember machte die Leerkündigung einzelner «Sugus-Häuser» im Kreis 5 Schlagzeilen (siehe WOZ Nr. 50/24). Ein Grossteil von Schwamendingen wird in den nächsten Jahren neu gebaut, Hunderte Menschen werden verdrängt (siehe WOZ Nr. 21/24). Oder Langnau am Albis: Dort hat die Zurich-Versicherung gerade allen 284 Mietparteien einer Siedlung gleichzeitig gekündigt.

Abriss günstiger Wohnungen

Bereits zum dritten Mal mobilisiert nun ein breites Bündnis, von linksautonomen Gruppen bis zum Mieter:innenverband, für die Wohndemo am kommenden Samstag: für Wohnraum für alle. Und gegen eine immer teurer werdende Stadt. Der Kampf gegen Leerkündigungen ist dabei ein – und vielleicht auch das wichtigste – Anliegen. Kaum etwas verwandelt Stadtteile so tiefgreifend wie dieses schlagartige Auswechseln ihrer Bewohner:innen; ganze Quartiere, Schulklassen, Sportvereine werden reicher und homogener. Leerkündigungen zu beziffern, ist schwierig, nur ein Bruchteil wird etwa dem Mieter:innenverband (MV) Zürich bekannt. «Aber es ist deutlich: Es wird immer mehr und immer grossflächiger gekündigt», sagt Walter Angst vom MV.

Besonders betroffen seien die sogenannten Verdichtungsquartiere, sagt Sabeth Tödtli von Urban Equipe, einem Verein, der sich für eine Demokratisierung der Stadtentwicklung einsetzt. Die Quartiere also, die gemäss Richtplan und Bau- und Zonenordnung das künftige Wachstum aufnehmen sollen: Affoltern, Schwamendingen, Seebach, Altstetten, Albisrieden. «Wir nennen sie auch Verdrängungsquartiere», sagt Tödtli. Ein Grossteil der neu gebauten Wohnungen ersetze dort bestehenden, günstigen Wohnraum.

Laut einer ETH-Studie von 2023 verdienen verdrängte Haushalte monatlich 4800 Franken weniger als der durchschnittliche Haushalt im Kanton Zürich. Nach Renovationen haben die neu eingezogenen Haushalte ein monatlich über 3600 Franken höheres Haushaltseinkommen als die vorherigen, nur rund sechs Prozent der Mieter:innen bleiben. «Social Upgrading» nennen das die Autor:innen. Die Verdrängten ziehen mehrheitlich weg, etwa nach Bülach oder Adliswil. Vorläufig Aufgenommene, Ausländer:innen und Alleinerziehende sind am häufigsten betroffen, die Studie spricht von der Verdrängung vulnerabler Gruppen.

Verdrängung systemrelevanter Berufe

Dieses Bild ist jedoch unvollständig. Urban Equipe hat die Bevölkerungsstruktur leergekündigter Siedlungen untersucht – und kommt zum Schluss, dass insbesondere Menschen verdrängt werden, die die Grundversorgung der Stadt sichern: «Gemäss unseren Erfahrungen und Befragungen arbeiten etwa drei Viertel der erwerbstätigen Bewohner:innen in der Pflege, Kinderbetreuung, Reinigung, Gastronomie, Logistik, im Detailhandel und Baugewerbe», sagt Tödtli.

Das torpediert auch das ökologische Ziel, Zürich zu einer Stadt der kurzen Wege zu machen. «Wie soll das gehen, wenn sich diejenigen, die in der Grundversorgung arbeiten, die Stadt nicht mehr leisten können und lange Arbeitswege auf sich nehmen müssen?», sagt Tödtli. «Das sind Berufe, die man nicht im Homeoffice erledigen kann.»

Nicht zu vergessen die unbezahlte Arbeit: Weit über die Hälfte der Befragten gebe an, in der Nachbarschaft Beziehungen zu pflegen, sich gegenseitig zu unterstützen. Oft würden Familienmitglieder in der Nähe wohnen. «Durch den Abriss solcher Siedlungen werden weitreichende informelle Care- und Supportsysteme zerstört», sagt Tödtli. Ältere Personen zögen nach einer Kündigung nicht selten verfrüht in ein Alters- oder Pflegeheim. «Die gesellschaftlichen Folgekosten, das institutionell aufzufangen, sind hoch.»

Aber Hauptsache, der «Alto Tower», wie das neue Hochhaus neben dem Stadion heisst, hat eine in die Fassade integrierte Fotovoltaikanlage und Coworking-Spaces. Der Weg zum bald frisch glänzenden Letzipark ist kurz.