Schöne Ostern
Unsere Grossfamilie ist nicht religiös, aber sie feiert Ostern mit Begeisterung. Wer kann, kommt zum gemeinsamen Brunch. Die Erwachsenen tratschen, die Kinder spielen. Die Teenager langweilen sich ein wenig, aber wahrscheinlich nicht so sehr, wie sie vorgeben. Einen Moment lauschen sie mit spitzen Ohren, was die Alten verhandeln, im nächsten Moment helfen sie den Kleinen beim Eiersuchen oder hüpfen mit ihnen auf dem Trampolin.
Auch dieses Jahr kam eine ansehnliche Gruppe zusammen. Der Himmel war blau und die Luft lau genug zum Draussensitzen. Alle gaben sich Mühe, einen Moment Normalität, vielleicht sogar Leichtigkeit zu schaffen und zu erleben. Und das merkte man der Stimmung an.
Es war nicht bloss mein Zahnweh, das die Wahrnehmung verdüsterte. Die Gespräche selbst nahmen einen anderen Verlauf. Wenn wir einen lang geplanten Umzug nach Europa diskutierten, sprachen wir unweigerlich auch über das Risiko einer «ungeplanten» Auswanderung. Wir diskutierten die ungesetzlichen Deportationen, die nicht mehr vorhandenen Rechte der Greencard-Halter:innen, ja sogar, ob Auslandreisen derzeit noch empfehlenswert sind. Wenn die jüngere Generation über ihre berufliche Situation berichtete, hatte Trump so oder anders seine Hand im Spiel. Die ehemalige Bundesangestellte tritt nächstens einen neuen Job in der Privatwirtschaft an. Der junge Start-up-Unternehmer musste Angestellte entlassen, weil im Moment kaum Geld in die Zukunft investiert wird. Der Baumeister hat keine Ahnung, wie er mitten im Zollkrieg die Kosten für Baumaterialien berechnen soll. Der Inhaber von lokalen Ausflugsbooten sieht dem Sommer eher skeptisch entgegen: Wer wird noch Geld fürs Vergnügen ausgeben? Sicher nicht die kanadischen Gäste. Ich allein scheine nicht nur einen krisensicheren Job zu haben, sondern einen Beruf, der vom Chaos profitiert. Auch nicht unbedingt ein Aufsteller.
Zum Glück hatte es in unserer Gruppe keine Trump-Fans. Aber wir sprachen über Mitglieder des erweiterten Familienclans, die immer noch in ihrer Fantasie-Maga-Welt leben. Und die unbeirrbar die Illusion hegen, Donald Trump werde diese oder jene Scheusslichkeit nicht begehen – oder jedenfalls Leute wie sie verschonen.
Vielleicht nahmen der eine oder die andere von ihnen am Montag am Ostereierschieben (Egg Roll) vor dem Weissen Haus teil. Die 150-jährige Tradition wurde dieses Jahr durch aggressives Unternehmenssponsoring aufgefrischt. Die Kinder, manche von ihnen mit viel zu grossen roten Trump-Baseballkappen, und ihre Eltern konnten sich vor Amazon- oder Meta-Werbebannern abfotografieren lassen. Kleine Knirpse durften die Glocke einer New Yorker Börse aus Papiermaché betätigen. Und irgendwo posierte Trump mit einer Schar Kinder und erzählte ihnen nicht etwa eine Geschichte vom Osterhasen. Er zeigte ihnen eine Trading Card, eine Sammelkarte, auf der er selbst mit blutendem Ohr unmittelbar nach dem Anschlag vom vergangenen Juli in Pennsylvania abgebildet ist. Als ich diese Szene zum ersten Mal sah, vermutete ich einen schlechten Anti-Trump-Scherz. Aber es gibt diese gruselige Trump-Trading-Card tatsächlich. Sponsor Amazon verkauft sie derzeit für 9,99 Dollar, zum halben Preis.
An dieser Stelle lesen Sie immer freitags «Fussnoten aus dem Trumpozän» von Lotta Suter. Die Mitbegründerin sowie langjährige Redaktorin und Auslandskorrespondentin der WOZ lebt seit vielen Jahren im US-Bundesstaat Vermont. Von dieser ländlichen Peripherie aus schreibt sie bis Mitte Juli ihre Kolumne, in der sie dem Echo der Politik in Washington lauscht.