Train de vie: Humor ist, wenn man trotzdem lacht

Die Idee von «Train de vie» könnte nicht genialer sein, das Thema nicht überraschender: Die BewohnerInnen eines Stetls in Rumänien deportieren sich selbst, um der Deportation durch die Nazis zu entgehen. Doch leider drückt sich die grandiose Idee nicht durchwegs in einer kongenialen Durchführung aus.

Doch bevor hier jene Stellen, die nicht überzeugen, daraufhin befragt werden, warum sie es nicht tun, erst noch ein Müsterchen für die vielen gelungenen Szenen, die voll des viel beschworenen jüdischen Humors sind (was immer das ist): Fährt die kostengünstig gekaufte Lokomotive, die die jüdische Bevölkerung heimlich vor den Nazis nach Palästina in Sicherheit bringen soll, des Nachts ins Stetl ein. Der Rabbi entsetzt: Ein Wrack! Der Rat der Weisen starrt stumm vor Schreck auf den auseinander fallenden Haufen auf Rädern. Schliesslich fasst sich einer ein Herz: Das düstere Bild, das sich ihnen biete, liege nur am fehlenden Licht. Doch der Tag bricht an, und die Lok sieht kein bisschen besser aus. Darauf der unverbesserliche Optimist: Dann sei es wohl der Morgennebel.

Ab und zu jedoch beschleicht einen der Eindruck, der Regisseur und Drehbuchautor Radu Mihaileanu arbeite etwas häufig mit gängigen Klischees, um die Komödie nicht allzu «schwarz» werden zu lassen. So löst sich die dritte Konfrontation zwischen echten und falschen Nazis durch einen arg konstruierten Zufall in Wonne auf: Unverhofft fällt einer der vermeintlich echt Deportierten dem Dorftrottel des Stetls um den Hals und – man höre und staune – ist tatsächlich dessen Zigeuner-Bruder, und – man staune noch mehr – die andern in Uniform sind ebenfalls alle nur verkleidete Nazis und in Wahrheit Zigeuner. Die wundersame Rettung muss gefeiert werden mit einem zünftigen Fest – das mit Fiedeln, Tanz und lodernden Feuern sämtliche Vorurteile gegenüber Fahrenden bedient.

Schafft es die Geschichte in dieser Sequenz gerade noch, das Publikum dank der Musik über die versammelten Klischees hinweg mitzureissen, so wird sie leider etwas «trottelig», wenn es um die zum Kommunismus übergelaufenen Stetl-Bewohner geht. Generell setzt der Film etwas häufig auf Pointen, die dadurch entstehen, dass die Figuren nicht weiter als bis zu ihren Zehenspitzen denken und dann furchtbar überrascht sind, wenn das völlig Absehbare eintrifft. Beim kommunistischen «Personal» überspannt Radu Mihaileanu, der aus Rumänien stammt und vor dem Ceausescu-Regime erst nach Israel und dann nach Paris geflüchtet ist, diesbezüglich definitiv den Bogen. Das Mamisöhnchen Yossi, das von der Dorfschönheit Esther eine Abfuhr einstecken muss, kommt zum Kommunismus wie andere Leute zum Grippevirus. Kurzer Kontakt – und schon hat man ihn. Yossi kommandiert in der Folge als selbst ernannter Anführer ein wenig im Train de vie herum und gewinnt weitere Anhänger. Schliesslich proben die Hobbykommunisten halbbatzig den Aufstand gegen Mordechai und dessen jüdische Helfer, die die Nazis mimen müssen und gelegentlich etwas übertreiben mit Herumkommandieren und folglich wirkliche Imperialisten und Faschisten geworden seien – ja, schlimmer noch als echte Nazis.

Auch dieser Aspekt der Geschichte ist an und für sich interessant, überzeugt aber nicht im «Tonfall»: So wie man allgemein dem Überbringer einer schlechten Nachricht mehr grollt als den Verursachern des Übels, so läuft der als Nazi-Zugführer verkleidete Mordechai Gefahr, von seinen eigenen Leuten mit seiner Rolle gleichgesetzt zu werden und deshalb Ablehnung und Misstrauen zu ernten statt Dankbarkeit und Unterstützung. Gleichzeitig muss sich Mordechai ein Stück weit wirklich ins «Nazi-Sein» einfühlen, um seine Rolle im entscheidenden Moment überzeugend spielen zu können. Aber wie soll Mordechai wissen, wie ein Nazi ist – die Filmgeschichte ist 1941 angesiedelt, und Mordechai ist im Stetl nie einem begegnet, und er weiss, was er weiss, nur vom Hörensagen.

Immer wieder und immer wieder auf unterschiedliche Weise taucht in «Train de vie» diese Frage auf: Wie ist diese oder jene Bevölkerungsgruppe? Wie sind Juden, wie Zigeuner, wie Deutsche, Nazis, Frauen, Kommunisten ...? Aus Erfahrung gewonnene Urteile, altbekannte Klischees und verheerende Zuschreibungen liegen dabei dicht nebeneinander. Gelegentlich geraten sie auch durcheinander. Das ist dann eher irritierend als «humorvoll». Deshalb muss man sich «Train de vie» anschauen. Sich zu überlegen, wo die Komödie funktioniert und wo nicht, lohnt sich alleweil. Humor ist zwar manchmal, wenn man trotzdem lacht. Manchmal aber auch nicht.

Train de vie. Regie: Radu Mihaileanu. F 1998