Schlagzeug ist Satan
«Du solltest jeweils mit mir reden, bevor du den Kindern etwas versprichst», markiert der Vater beiläufig seine Autorität. Natalie hatte ihrer Tochter versprochen, dass sie Schlagzeug lernen darf. Wieso das nicht geht, führt ihr Mann nicht aus, aber in dieser Welt hier gilt schon eine Ahnung von Ausschweifung als Bedrohung der Sitten. Natalie und ihre Familie leben den alltäglichen Wahnsinn einer Freikirche.
In ihrem zweiten Roman, «Immer zwei und zwei», schildert Tabea Steiner dieses Milieu aus der Perspektive einer Abtrünnigen. Es ist keine Idylle, die für ihre Protagonistin zerbricht. Schon im fragmentarisch gehaltenen ersten Teil des Buchs wird ihre Entfremdung von dieser streng kontrollierten und abgeschirmten Parallelgesellschaft deutlich. Die Fallhöhe ist immens, bestimmt auch die inneren Kämpfe – zumal in Natalies Leben auch noch eine Frau auftaucht, die sie an einer Weiterbildung für Lehrer:innen kennenlernt und die sie nicht nur freundschaftlich interessiert. Doch man muss sich diese Kämpfe hinzudenken, Steiner beschreibt ihre Figuren nur über deren Äusserungen und Handlungen – in schlichter, trockener Sprache. Das lässt die Fassade dieser angestrengt anständigen Leute umso unheimlicher erscheinen.
Die Freikirche dient als Rahmen, aber tatsächlich handelt der Roman von meistens subtil behaupteten, aber unzerstörbar wirkenden patriarchalen Strukturen. Ähnlich wie Steiners Debüt «Balg» (2019), das von einer jungen Mutter mit schwer erziehbarem Kind erzählt, die sich zuerst gegen ihren Partner und dann in einer nicht sehr idyllischen ländlichen Gegend behaupten muss. Die Freikirche in «Immer zwei und zwei» ist vor allem ein stabiler, von erzkonservativen Werten gestützter Männerbund, der auch die Solidarität zwischen den Frauen immer wieder unterwandert.
Wer glaubt, dabei gehe es bloss um eine Studie über weit entfernten religiösen Fanatismus, unterschätzt die gesellschaftskritische Tragweite dieses zunächst vielleicht etwas harmlos wirkenden Buches.
Die Autorin liest und diskutiert an den Solothurner Literaturtagen am Freitag, 19. Mai 2023, um 19 Uhr, am Samstag, 20. Mai 2023, um 10 Uhr und am Sonntag, 21.Mai 2023, um 14 Uhr.
Tabea Steiner: «Immer zwei und zwei». Roman. Edition bücherlese. Luzern 2023. 208 Seiten. 30 Franken.