Wie finster der Wald

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Filmstill aus «Milchzähne»: ein Kind steht zwischen Farnen im Wald

«Ich bin kein Mädchen», sagt das Mädchen. «Ich bin ein Wolf.» Die Kleine ist ihr aus dem dunklen Wald zugelaufen, und nach dem ersten Mal hat Skalde (Mathilde Bundschuh) sie dort auch wieder ausgesetzt. Als das Mädchen, das keines sein will, dann doch wieder bei ihr auftaucht, nimmt Skalde das Kind bei sich auf – und steht fortan unter Verdacht. Denn hier in der Gegend gelten archaische Gesetze, und jedes Kind, so heisst es, könnte ein gefährliches Wolfskind sein.

Der Wolf, das Mädchen, der deutsche Wald: Die gebürtige Winterthurerin Sophia Bösch, ausgebildet in Stockholm und Potsdam, spielt in ihrem ersten langen Spielfilm mit vertrauten Märchenmotiven. «Milchzähne» folgt dabei dem gleichnamigen Roman von Helene Bukowski, in dem eine autarke Gemeinschaft nach eigenen Regeln lebt, abgeschottet gegen die Verwüstung, die angeblich über die Welt draussen gekommen ist. Aber wer vor dem dystopischen Chaos jenseits des Flusses warnt, will doch immer auch die bestehende Ordnung sichern.

Erst nach und nach erschliesst sich, wie diese Gemeinde funktioniert und warum Skalde und ihre Mutter (Susanne Wolff) hier höchstens geduldet sind. Erklärt wird dabei nur das Nötigste, Sophia Bösch vertraut ganz auf ihre Figuren und auf suggestive Bilder. Zwischen lichtem Apfelhain und gar nicht so finsterem Wald entwirft sie so ein seltsam entrücktes Landleben, wo das Unbehagen von den Menschen ausgeht, nicht von irgendwelchen Dämonen aus alten Märchen. Kein Horrorfilm also, sondern eine Studie über Ausgrenzung und Zugehörigkeit, die ganz ohne unheimliches Raunen auskommt. Gedreht in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, verdichtet sich das schleichend zu einer zeitlosen Parabel über die Abwehr gegen alles, was von aussen kommt – und damit auch über unsere politische Gegenwart, nicht nur in Ostdeutschland.  

«Milchzähne». Regie: Sophia Bösch. In: Solothurn, Canva, Do, 23. Januar 2025, 18 Uhr, und Landhaus, So, 26. Januar 2025, 10.15 Uhr. Ab Frühling 2025 im Kino.