Die Reitschule bleibt blau, grün und beige
Hörte munkeln, dass das Eisenbahnviadukt auf der Schützenmatte vor der Reitschule übermalt wird. Mache mich auf, vorbeizuschauen – und siehe da, da stehen sie auf einer Hebebühne: Zwei junge Männer werken an einem recht charakterlosen Farbverlauf. Mir gefällts nicht, aber schlimmer: Fehlt da nicht was?
Ich war ja noch ein Welpe, als 1987 die Reitschule besetzt wurde. «Reitschule bleibt autonom» hatten sie ans Viadukt gesprayt, in schwarzen, schlichten Buchstaben: Das war definitiv politisch, nicht ästhetisch gemeint. Danach ging es los: mit dem Haus, dem Vorplatz der Reitschule und der Schützenmatte, all den Freuden und Problemen.
Viel ist passiert seither. Aber «Reitschule bleibt autonom» am Viadukt, das blieb. Die ganzen Jahre, da man sich drinnen stritt und wieder vertrug. Selbst als 2012 am «Tanz dich frei», diesem wütenden Festumzug, Zehntausende durch die Gassen zogen, als man kurz dachte: Jetzt ändert sich vielleicht alles. «Bürgerkrieg jetzt» wollten da manche da oben hinschreiben, «Herzlich willkommen» die nächsten. Ich verstehe schon, warum man sich dann auf etwas anderes geeinigt hat: «Uns gehört die Nacht». Den alten Spruch liess man stehen und hat ihm, statt ihn zu übermalen, ein «Eure St» vorangestellt. «Eure St/Reitschule bleibt autonom» hiess es von da an. Konsensfindung an der Brücke sozusagen.
Seit über einem Jahrzehnt zerbricht sich die Stadt den Kopf darüber, was aus der Schützenmatte werden soll. Die Parkplätze sind seit einigen Jahren aufgelöst, aber was nun? Wer von links her aufwerten will, müsste soziale Fragen mitdenken – was passiert mit jenen, die sonst nirgends hinkönnen? Und wie kommen die Ausgängerinnen, Dealer, Carfahrerinnen, Skater und so weiter aneinander vorbei oder miteinander aus?
Nun will die Stadt vorwärtsmachen mit der Platzumgestaltung. Parallel dazu soll auch an der Brücke etwas getan werden: Heller und einladender soll sie sein und als Teil des Platzes begriffen werden, Übergang zur Reitschule statt Schranke. Ein langweiliger Farbverlauf in Blau, Grün und Beige soll da offenbar helfen, weg dafür mit dem alten Zeug. Fest steht: Es geht hier nicht um Ästhetik. Sondern darum, dass ein Rest Gründungs- und Subkulturgeschichte einfach so getilgt wird. Mich machts traurig. Werde bald wiederkommen; vielleicht hats ja bald jemand übermalt.
Hinterhältiger beobachtet keiner: Der Wolf Lonely Lurker schleicht im «Zoo» auf woz.ch jeder Fährte nach.
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