Abgekapseltes Idol: Kendrick Lamar im Hallenstadion
Bin wiedermal in diesem Hallenstadion, fühlt sich fast an wie damals: Bier reinschmuggeln, drinnen liegt Cannabisgeruch in der Luft, Teen Spirit. Aber auch nicht ganz, das Publikum ist weniger weiss als sonst wohl hier, neben mir auf der Tribüne sitzen ein paar Expats aus Rumänien. Aber vor allem tritt einer wie er nicht alle Tage hier auf: Kendrick Lamar, virtuoser Rapper, Ikone antirassistischer Proteste, Urheber einiger der wichtigsten Alben im Pop der Gegenwart. «Mr. Morale & the Big Steppers», sein aktuelles Album, ist ein lyrisch verdichtetes, introspektives Werk über die eigene Familiengeschichte, Traumata und Unsicherheiten, die Zerlegung des Mythos um seine Person. Wie bringt man so etwas auf die Bühne dieser, nun ja, Eventhalle?
Es ist faszinierend, wie das geht. Es beginnt mit der Stimme, die aus dem Off durch die Show führt: Helen Mirren als Lamars Therapeutin. Und dann die minimale, aber ausgeklügelte Inszenierung auf der Bühne mit langem Laufsteg ins Zuschauerfeld, in ihrer feinen Dramatik mutet diese eher wie zeitgenössisches Theater als wie eine Popshow an. Immer wieder findet sie bestechende Bilder: Kendrick Lamar alleine vor einem riesigen Vorhang und auf demselben als Schattenspiel; der Rapper inmitten einer klaustrophobischen Choreografie aus Polizeilampen; oder alleine am Klavier, matt leuchtende Scheinwerfer haben sich herabgesenkt und verengen den Raum über ihm. Überhaupt ist Lamar in dieser Show oft allein, beseelt die Halle voller schreiender und hüpfender Kids über den düster rollenden Beats nur mit seiner eindringlichen Stimme. Einmal begleitet ihn der Rapper Baby Keem, manchmal ein paar Tänzer:innen in Schwarz und Weiss. Nach einem Song bleibt er einfach im Dunkeln stehen und tut einige Sekunden lang nichts.
Und dann ist Kendrick Lamar plötzlich in Quarantäne. In der Mitte der Halle hat sich ein Kubus aus durchsichtiger Folie über ihn herabgesenkt, ein Mann im Schutzanzug führt gar einen Covid-Test an ihm durch. Wir hören «Alright», den Song von 2015, der für die Black-Lives-Matter-Bewegung zur Hymne wurde. Ein bisschen absurd ist es auch, wie das Bühnenbild den Song in die Gegenwart holt, aber das Bild wirkt: wie der Rapper, der stets mit seiner Rolle als Idol hadert, hier exakt im Zentrum der Halle, aber völlig abgekapselt steht und uns ermutigen will: «We gon’ be alright!»
Präziser beobachtet keiner: Der Wolf Lonely Lurker schleicht im «Zoo» auf woz.ch jeder Fährte nach.
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