Wut und Energie tanken

Schon wieder ein Rapkonzert, schon wieder in Zürich. Anders als bei Kendrick Lamar letzte Woche aber nicht in grossgeistiger Stadionausführung, sondern roh und persönlich im kleinen «Exil». Vor vollem Raum spielt Disarstar sein allererstes Konzert in der Schweiz: Der geradlinige Kommunist aus Hamburg, der Rap als ehrliche Arbeit verrichtet. Explizit und unprätentiös, kantige Klassenkampfrhetorik gegen System und Banken, gegen den Armenhass von Bourgeoisie und FDP. Minimales Bühnenbild, hinter Disarstar leuchtet mal weiss, mal rot oder grün einzig sein Sternenemblem als Lichterkette, that’s it. Kaum Zwischenansagen, kaum Publikumsanimation; reduziert wie der kalte Strassenbelag, auf dem seine Geschichten spielen. In den besten Momenten flimmert die Luft über dem Publikum. Ich stehe in den hinteren Reihen, lade meine Batterien mit Wut und Energie. Ich mag es, deswegen bin ich schliesslich gekommen.

Wie so oft bei Rapkonzerten sind die Parts leider nur schwer zu verstehen, aber das macht gar nichts, denn die Kids hier schreien die wichtigsten Textpassagen ohnehin mit. Gemeinsam mit Disarstar wollen sie Milliardäre enteignen, ein «krankes System» mit «Marktwirtschaft, Lohnarbeit und Wettkampf» stürzen, und sie fordern: «Rolex für alle!» Und plötzlich überkommt mich die Frage, wie viele der jungen Menschen hier einst vielleicht tatsächlich eine Rolex zur Konfirmation geschenkt bekommen haben. Oder noch bis vor kurzem jeden Morgen im Range Rover zur Privatschule gefahren wurden. Hier ist schliesslich Zürich, die Stadt, die Disarstar in seinen Texten vielleicht nicht wörtlich benennt, die aber für so vieles steht, was er in seinen bissigsten Lines zerfetzt: für eine unfassbare Anhäufung von Reichtum, für ignoranten Wohlstand – und entsprechend auch für Gentrifizierung, Verdrängung und klassistische Ausgrenzung. Befinde ich mich womöglich gerade an einem Ort, an dem unsere liebsten Parolen zu leeren Plastikhüllen werden? Fast schon etwas brav und domestiziert klingt es, wenn im wenig diversen Publikum «Alerta» und «Anticapitalista» gerufen und beteuert wird, dass die ganze Stadt die Polizei hasse.

Aber nein doch, denke ich umgehend, warum denn immer hochnäsig schnöden? Ist doch super, wenn wir uns hier in diesem Konzertsaal eine Stunde lang kämpferisch einig sind. Genau deswegen bin ich schliesslich hier. Im kühlen Scheinwerferlicht lausche ich den Punchlines, tanke Wut und Energie – und spiele mit dem Gedanken, am nächsten Tag gleich auch in Bern noch mal bei Disarstar vorbeizuschauen.
Präziser beobachtet keiner: Der Wolf Lonely Lurker schleicht im «Zoo» auf woz.ch jeder Fährte nach.