Behauptung in Stein

Durch den Morgennebel an den Genfersee gefahren, die Aussicht am herbstfarbigen Weinhang des Lavaux stabil schön. In Lausanne dann Beine vertreten beim Spaziergang rund um den Bahnhof: Gute Gelegenheit, um das neue, Mitte Juni eröffnete «Kunstquartier» auszukundschaften. Drei Kunsthäuser haben sich zusammengetan und direkt neben den Gleisen gebaut. Gebaut? Geklotzt! Wer wie ich schon oft ratlos um den Chipperfield-Erweiterungsbau in Zürich geschlichen ist, kann zur Lausanner Überwältigungsarchitektur nicht schweigen.

Der grössere Klotz mit dem Musée cantonal des Beaux-Arts drin ragt schon seit 2019 als wuchtiger Bunker in den blauen Himmel, die hellen Backsteinlamellen der Fassade aufgereiht wie Soldaten. Was hier wie in Zürich auffällt: Rund ums Gebäude gibts auffallend viel versiegelten Raum: Beton, Teer, Kieselsteine. Die ganze Umgebung wirkt abweisend, seltsam aus der klimaveränderten Zeit gefallen. Will gar nicht wissen, wie sich der Komplex im Sommer aufheizt! Etwas Ablenkung verschafft die grosse grüne Metallskulptur der legendären «Krokodil»-Lok, eine Erinnerung ans alte Lokomotivdepot. Füsse scharren über den Asphalt, eine erste Gruppe steht schon vor dem Mittag parat zum Architekturrundgang.

Der neue Nachbarsbau wirkt zumindest von aussen weniger übermächtig, eine geschwungene Fensterfront bricht die Betonfassade neckisch auf. Doch schon im Foyer wird man wieder fast erdrückt von zu viel Haus. Die Garderoben- und WC-Anlage erinnert an ein Gefängnis. Bloss raus hier. Das Designmuseum Mudac im oberen Stock wirkt dagegen luftig und hell. Ins Untergeschoss ist Lausannes renommierte Fotoinstitution, das einstige Musée de l’Élysée, eingezogen. Hier hats mehr Platz als am alten Standort, einer historischen Villa im Park, sicher auch passendere Ausstellungsflächen und bessere klimatische Bedingungen für die Kunst. Für uns Be­sucher:in­nen allerdings ist dieses Souterrainverlies atmosphärisch nur schwer zu ertragen. Das wird nirgendwo deutlicher als bei einem sicher aufmunternd gemeinten Lichtschacht mit Begrünung. Fast kriege ich Mitleid mit dem Gras, das dort wächst – und komme ins Philosophieren. Warum begegnen Museen der Digitalisierung mit überdimensionalen Erweiterungen in Beton? Was ist das für eine Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft? Auftrumpfen mit möglichst viel gewichtiger Materie gegen die digitale Körperlosigkeit?

Nichts gegen die Ausstellungen. Naturgemäss am besten gefallen hat mir der einsam herumstreunende Hund in der Schau des alten Magnum-Fotografen Josef Koudelka. Konnte mich kaum losreissen von seiner tiefschwarzen Silhouette, die sich wie ein gestochen scharfer Scherenschnitt aus dem Schnee eines französischen Parks schält. Doch schon bald wirds mir ganz bl­ümerant. Die Luft ist zum Schneiden dick, an diesem Tag getränkt mit Dämpfen wie aus einer Malerwerkstatt. Nicht der einzige Grund, warum ich froh bin, rasch wieder draussen zu sein.
Präziser beobachtet keiner: Der Wolf Lonely Lurker schleicht im «Zoo» auf woz.ch jeder Fährte nach.