Eure unerträglichen Plastikdebatten

Im Vorfeld habe es «sehr, sehr viele Themen» gegeben, die den Fussball «sehr weit in den Hintergrund» hätten rücken lassen, beklagte der ehemalige Nati-Torwart Diego Benaglio in der WM-Eröffnungssendung im SRF. Er redete von «gewissen Dingen», von «Nebengeräuschen». Und fast entschuldigend sagte Moderator Paddy Kälin, dass man bei SRF Sport halt «nicht drum herum» komme, auch «die anderen Sachen» noch einmal zu beleuchten; die Menschenrechtslage in Katar, den Tod und die Entrechtung von Arbeitsmigrant:innen, die Diskriminierung von Frauen und Queers. «Nebengeräusche» halt.

In den letzten Wochen und Monaten haben wir etwas wieder mal lernen müssen: Was auf der Fussballbühne verhandelt wird, gerät praktisch unausweichlich zum unerträglichen Plastikdiskurs. Da pinseln sich in einer medial inszenierten Aktion ein paar Millionäre vor dem Einlaufen «Human Rights» aufs Trikot, andere wollen eine Regenbogen-Captainbinde nach Katar mitbringen. Alles in antrainierter Selbstgerechtigkeit: Ihr signalisiert moralische und kulturelle Überlegenheit – ohne aber im von Petro- und anderen dreckigen Milliarden längst gefluteten Fussballbusiness irgendwelche Einschnitte in Kauf zu nehmen. Und wenns dann losgeht, spottet ihr über halb leere Stadien und mokiert euch endlos über katarische Alkoholverbote. So haltet ihr am Ende nicht mal echte Argumente in der Hand, wenn ausgerechnet der Walliser Fifa-Präsident Gianni Infantino von «Heuchelei» spricht.

Das tat er am Samstag vor der WM-Eröffnung bei einer Pressekonferenz, die selbst SRF-Kommentator Sascha Ruefer als «bizarr» und «zum Fremdschämen» bezeichnete. Mit nachdenklicher Miene sagte Infantino Sinnlosigkeiten wie: «Heute fühle ich mich schwul», und: «Heute fühle ich mich als Arbeitsmigrant.» Europa solle nach 3000 Jahren besser mal aufhören, dem Rest der Welt Lektionen zu erteilen –­ um sich dann tags darauf bei der WM-Eröffnung freundschaftlich neben eine ganze Schar autoritärer Staatsmänner zu setzen, die Europas Herrschaftslektionen der letzten Jahrhunderte offensichtlich sehr aufmerksam gelernt haben. Ganz ehrlich: Wer antikoloniale Kämpfe dermassen dreist pervertiert, hat nun wirklich einen speziellen Platz in der Hölle verdient.

Wie kaputt das alles ist. Aber ja, liebe WM-Apo­loget:in­nen, lasst euch bloss nicht länger ablenken. Jetzt ist schliesslich Zeit für Fussball, euer absolut relevantes Hauptgeräusch.
Mona Molotov ist die meinungsstärkste Möwe des Landes. Sie schreibt regelmässig im «Zoo» auf woz.ch.