Merkwürdig menschlich

Sind Ottervideos eigentlich die neuen Katzenvideos? So jedenfalls sieht es aus, wenn sich die Rolle («reel») in meinem Instagram dreht. Aber diese Sache mit den Tiervideos hat sich sowieso total verändert, seit Algorithmen seltsame spezifische Vorlieben bedienen, dachte ich mir kürzlich, als sich die Reels vor meinen müden Augen drehten.

Bei mir kommt dann zum Beispiel so etwas wie Blondie the Love Bird so heisst der Account, ein unglaubliches Geschöpf! Blondie ist ein handgrosser Papagei mit einer Viruserkrankung, wegen der ihm so gut wie alle Federn ausgefallen sind. Der Anblick des kahlen, herumstaksenden Vögelchens ist, nun ja, abartig. Die nackten Flügel sind ins Humanoide entstellt, der Horrorlook der rosa Haut erzeugt einen rührenden Gegensatz zur offensichtlichen Zutraulichkeit des Tiers. Wobei, spezifische Vorliebe – Blondie hat 220'000 Follower:innen und eine eigene Merch-Kollektion.

Bei Tiervideos geht nichts über Vögel, nur schon wegen des aufrechten Gangs erzeugen sie zuverlässig das metaphysische Gruseln. Schon mal eine Eule laufen gesehen? Das Gefieder hebt sich und mit ihm der Vogel, unter dem zwei knorrige, beflaumte Beine ausfahren – die Anmut des Tiers ist sofort dahin. Oder der Graupapagei, der ganze Sätze, gar rudimentäre Interaktionen zwischen Menschen verstehen und darauf antworten kann; Akzente kann er genauso präzise imitieren wie Geräusche, etwa das Tropfen eines Wasserhahns. Weil der Vogel so alt wird, ist es möglich, dass er sich mehrmals eine neue Familie suchen muss – darum kann er bis ins hohe Alter neue Dialekte lernen. Trotzdem, ist das nicht merkwürdig, dass so ein Vogel bis zu tausend Wörter lernen kann? Wunder der Natur, pff.

Weitere Videos kommen rein: Ein faszinierend ungelenkes Faultier versucht, eine Strasse zu überqueren, ein ... was zur Hölle ist denn das? Ah, ein Ameisenigel! Wieso berühren Videos von Tieren euch Menschen? Obwohl sie (der Graupapagei mal ausgenommen) in völlig anderen Bedeutungsuniversen leben, meint ihr, in ihnen entstellte menschliche Regungen zu beobachten – als wäre ihr Verhalten eine primitive Form eures eigenen, sie zu beobachten quasi eine Querverbindung auf dem Evolutionsbaum. Was da hervorkommt, ist gar nicht immer süss.
Präziser beobachtet keiner: Der Wolf Lonely Lurker schleicht im «Zoo» auf woz.ch jeder Fährte nach.