Strommarkt: Liberal war einmal

Wie sich die Zeiten ändern. 

Die Umweltkommission des Nationalrats dachte wohl, das klinge cool, «Strommarkt 2.0», als sie 2017 eine Motion einreichte mit dem Ziel, den Strommarkt vollständig zu liberalisieren. In der Begründung die üblichen Floskeln: «mehr Wettbewerb», «dynamische Anreizwirkungen», «Effizienzgewinne». Der Nationalrat befand die Sache 2018 für gut, und zwar deutlich: mit 130 Ja- und nur 44 Nein-Stimmen. 

Und jetzt? Am Tag vor der Bundesratswahl versenkte der Ständerat die Motion sang- und klanglos, es gab nicht einmal mehr eine Diskussion, nur noch ein charmantes Votum von Elisabeth Baume-Schneider: Die Ereignisse in der Zwischenzeit hätten gezeigt, dass eine Totalliberalisierung vielleicht doch nicht die beste Idee sei, die Umweltkommission der kleinen Kammer lehne das Ansinnen geschlossen ab. Es war ja schon in der Herbstsession absehbar, jetzt ist es amtlich besiegelt: Die Liberalisierungsträume sind Geschichte. 

Mit Verlaub: Die WOZ weist seit mehr als zwanzig Jahren darauf hin, dass die Strommarktliberalisierung ein Holzweg ist. Im Jahr 2001 zitierte sie den welschen Gewerkschafter Michel Béguelin: «Es ist eine Illusion zu glauben, dass der Markt alles regelt. Das ist reine Ideologie, die zu schlimmen Irrtümern führt.» 2002 erlitt das liberalisierungsgläubige Strommarktgesetz Schiffbruch, doch Bundesrat, Bürgerliche und Wirtschaftsverbände behielten die Richtung bei. «Diese Leute verfügen über eine überwältigende Lernresistenz – von der man nicht weiss, ob sie Dummheit, Filz oder Raffgier entspringt», schrieb Susan Boos 2008.

Auch erstaunlich viele Linke glaubten, Liberalisierung und Ökologisierung gingen zusammen: «Die Linke ist für gewöhnlich geschlossen gegen Privatisierungen. Ausser wenn es um den Strom geht. Da liessen sich viele von Fördergeldern blenden», hiess es 2017 in der WOZ. Immer wieder wies die Zeitung darauf hin, dass die Achterbahn fahrenden Strompreise nach einer Liberalisierung zuerst die Armen träfen. Der aktuelle Winter bestätigt in vielen Ländern Europas genau das. Mich würde es ja freuen, dass sie recht hatte, wenn es nicht so traurig wäre.
Fakten, Fakten, Fakten: Der Oberleguan rückt die Dinge zurecht.