Festung Grossbritannien

Es fällt schwer, das zu glauben: Der High Court of Justice in London hat tatsächlich entschieden, dass es in Grossbritannien irgendwie rechtens sein soll, Menschen das Recht auf ein Asylverfahren ganz einfach abzusprechen. Gestern hat das Gericht einen teuflischen Pakt der britischen Regierung mit Ruanda gutgeheissen, wonach sogenannt «illegale» Schutzsuchende ohne Weiteres ins ostafrikanische Land abgeschoben werden dürfen. Dort, aber ganz bestimmt nicht im einstigen Weltreich Grossbritannien, sollen sie ein Asylverfahren durchlaufen und allenfalls ein Aufenthaltsrecht erhalten. Als wären sie seelenlose und austauschbare Holzfiguren im grossen Abschiebespiel, das die Welt offensichtlich geworden ist.

Das britisch-ruandische Abkommen wurde im April unterzeichnet, blass erinnern wir uns ans damalige Regierungspersonal: Premierminister war der trottelig-korrupte Boris Johnson, seine Innenministerin die unbeirrbare Hardlinerin Priti Patel. Vor ihrer Absetzung trieben die beiden Brexit-Turbos ihren migrationspolitisch «innovativen Ansatz» (Johnson) voran: So konnten sie weiterhin von neu gewonnenen britischen Freiheiten schwafeln, obwohl sie das Land mit dem EU-Austritt auch aus der wohlig-warmen Stube der migrationsfeindlichen Festung Europa gezerrt hatten. Ihr goldener Kniff: Anstatt Menschen wie bis anhin gemäss Dublin-Richtlinien in Transitländer in Festlandeuropa abzuschieben, soll das jetzt eben nach Ruanda möglich sein. Der dortige Verbündete ist Präsident Paul Kagame, der sich während seiner über zwanzigjährigen Amtszeit einen zunehmend repressiven autoritären Entwicklungsstaat geschneidert hat – und der sich mit solcherlei Verträgen mehr internationales Gewicht zu verschaffen weiss.

Mitte Juni hätten die ersten Betroffenen nach Ruanda geflogen werden sollen, als Startschuss für Zehntausende Ausschaffungen in den kommenden Jahren – doch im letzten Moment intervenierte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit einer einstweiligen Massnahme. Mit dem Urteil des High Court sollen nun fast alle juristischen Hürden genommen sein – und die Unrechtsgeschichte der Welt droht pünktlich zu Weihnachten um ein Kapitel reicher zu werden.
Mona Molotov ist die meinungsstärkste Möwe des Landes. Sie schreibt regelmässig im «Zoo» auf woz.ch.