Juli Zeh: Holla, die Waldfee!

Jetzt regen sie sich wieder auf, die Korrekten! Dabei wollen wir Debatten anstossen – bloss Debatten! Und das scheint uns ja auch prima zu gelingen, dem Simon und mir, so wie unser Roman jetzt überall Thema ist. Offenbar treffen wir haarscharf ins Schwarze: Wenn man nicht mehr debattieren kann, ist die Demokratie echt am Abnibbeln.

Mit dem Roman wollen wir nur zeigen, wie die Kommunikationsverwerfungen entstehen, die wir ja wohl alle in unserer Gesellschaft beobachten: den hohen Meinungsdruck, die Polarisierung, die Notwendigkeit, darauf zu achten, was man sagt. Oder schreibt. Simon und ich sind Autoren. Warum sollen wir jetzt plötzlich Autor*innen sein? Sorry – was soll der Quatsch? Mit dem neuen Buch treten wir für Differenzierung ein, für perspektivische Vielfalt, für Pluralismus, für die Ambivalenz und die Vielschichtigkeit der Literatur.

Schon die Coronamassnahmen waren ja echt schlimm! Die Ausgangssperren standen für eine totalitäre Strafsituation, ich habe das fast als apokalyptisch empfunden. Aber beim Thema Ukrainekrieg ist es jetzt noch viel schlimmer geworden. Nach dem offenen Brief an Scholz, damit er mit seiner vorsichtigen und wenig säbelrasselnden Form der Ukrainepolitik weitermacht, gings für uns Unterzeichner heftig los – holla, die Waldfee! Wieso soll man mit Putin nicht verhandeln können? Mit jedem Menschen kann man verhandeln, dafür ist er Mensch. Und man beginnt besser früher als später. Aber es hat nix genutzt, jetzt ist Scholz auch zu so ner gepanzerten Kriegsgurgel geworden.

Vielleicht haben die Deutschen das Debattieren verlernt, weil es in den neunziger und nuller Jahren in Deutschland so ruhig war. Unsere Generation war nicht sehr aktivistisch, es war eine absolut optimistische Zeit, mindestens ein Jahrzehnt lang hatte man nach der Wiedervereinigung den Eindruck: Alles wendet sich zum Besseren. Aber jetzt werden die Aktivisten schon wieder ganz aufgeregt und finden, das sei Quatsch! In den Neunzigern habe es jede Menge Rassismus und Gewalt von rechts und rassistisch motivierte Brandanschläge gegeben. Ob ich nie was von Hoyerswerda, Rostock, Solingen oder Mölln gehört hätte?

Doch, hab ich, aber viel später. In der Schule und an der Uni hatte ich wirklich andere Sorgen.

Qualle Aurelia konnte in die Gedanken der Autorin Juli Zeh schlüpfen, die gerade gemeinsam mit dem Autor Simon Urban den Roman «Zwischen Welten» veröffentlicht hat.