Rechtspop: Alles sagen dürfen
Von Nazi Black Metal zu Fashwave: Die neuste Ausgabe der Zeitschrift «Testcard» beleuchtet, was den Rechten alles einfällt, um mit Pop Politik zu machen.
Dass Pop per se links sei, emanzipatorische und befreiende Kräfte mobilisiere – diese bequeme Lebenslüge glauben nur noch Leute, die unter einer Krankheit leiden, die einst Jello Biafra von den Dead Kennedys besang: «Nostalgia for an age that never existed.» Die neuste Ausgabe der Popzeitschrift «Testcard» zum Thema «Rechtspop» diagnostiziert nun: «Pop wird zunehmend auch ‹von rechts› genutzt, vereinnahmt und besetzt.»
Dass die neue Rechte weiss, wie Pop funktioniert, sollte sich herumgesprochen haben. «Spätestens seit den Pogromen in Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Mölln und Solingen Anfang der Neunziger ist das klar», sagt Anna Seidel, Mitherausgeberin der «Testcard». «Nach der sogenannten Wiedervereinigung haben sich rechte Inhalte bis in die Mitte der Gesellschaft und darüber hinaus etabliert.»
Ausgehend von dieser Diagnose bietet die «Rechtspop»-«Testcard» Material, um diese (ost)deutschen Baseballschlägerjahre mit der Gegenwart zu vergleichen, in der lupenreiner Nazirock nur eine Facette unter vielen ist im Patchwork rechter Tribes und Umtriebe, Memes und Musiken; in der sich Alt-Right-Gamer, Dirndlrock und Trashkonsum ohne Reue Gute Nacht sagen und friedlich-schiedlich, gleichsam rhizomatisch einem noch nicht ausformulierten Ziel entgegen-koexistieren, sagen wir: einem erst diffus sich abzeichnenden rechten Aufstand, der aber doch täglich greifbarer wird. All diese disparaten, auch mehrdeutigen Phänomene tragen zur schleichenden Gewöhnung an eine Faschisierung des Alltags bei.
Rechte Kommunikationskriege
Für die «Testcard»-Redaktion ist Rechtspop «gerade deshalb so erfolgreich, weil er sich erfolgreich sämtliche Stile und Genres anverwandeln kann, allen etwaigen Widersprüchen zum Trotz. Ob NSBM (Nazi Black Metal), Rechtsrock, rassistische Rapper, Volksmusikrocker, Fashwave: alles scheint möglich.» Dass das kulturelle, lebensweltliche Konglomerat Rechtspop grössere Reichweiten hat als schiere rechte Musik(en), belegt «Testcard», weil hier Pop als etwas begriffen wird, das eben nicht nur Musik, sondern die gesamte Kulturproduktion erfasst. Siehe: die «spirituelle Querfront» bei Coronademos. Oder den Beitrag von Architekturkritiker Stephan Trüby, in dem er den «Wunsch, eine bessere deutsche Geschichte zu erschaffen», analysiert, dessen steingewordene Resultate man etwa in der Frankfurter Altstadt besichtigen kann: Hier wurde mit viel Geld ein Retro-Knusperhäuschen-Idyll für Bestverdienende aus dem Boden gestampft.
Judith Goetz liefert boulevardesk-erheiternde «Einblicke in eine aussergewöhnliche Ehe im Dienste rechter Inszenierung». Die Ehe? Ein Traumpaar der neuen Rechten: Caroline Sommerfeld, Jahrgang 1975, Postergirl der Identitären Bewegung, und Helmut Lethen, Jahrgang 1939, Alt-68er, Exmaoist und renommierter Kulturwissenschaftler. Das ungleiche Paar performt einen Überbietungswettbewerb in Sachen Tabubruch: «Geil am Rechtssein ist es, alles sagen zu dürfen.»
Dieses Sommerfeld-Credo zieht sich als Leitmotiv rechter Kommunikationskriege durch die gesamte «Testcard». Der Kampf gegen «woke Denkverbote» und die Diktatur der «politischen Korrektheit» braucht seine Feindbilder – wenn mal Schluss wäre mit Verboten und Diktaten, dann müssten neue erfunden werden. Judith Goetz schreibt, Caroline Sommerfeld sei «Teil einer intellektuellen Elite, die in ihrem metapolitischen Kampf versucht, dem völkischen Nationalismus ein modernes Antlitz zu verleihen und ihn mainstreamfähig zu machen».
Andreas, der Indigene
Die Teilnahme von CDU-Politiker:innen am Potsdamer Geheimtreffen, wo unter dem pseudowissenschaftlichen Label «Remigration» Deportationspläne entworfen wurden, war kein Zufall: Das helfen die Texte in der «Testcard» zu verstehen, indem sie die Grauzonen zwischen dumpfem Alltagskultur-Normalismus und offen rechtsextremen Pop-Phänomenen ausleuchten. Das leisten Didi Neidhart und Frank Apunkt Schneider mit ihrem launigen Essay zur «österreichischen Selbst-Indigenisierung im volkstümlichen Neo-Schlager». Der Star des Genres, der selbsternannte Volks-Rock-’n’-Roller Andreas Gabalier, ist mit seinem krachledernen Schunkelrock auch auf deutschen (TV-)Bühnen ein Dauergast.
Mehrere Texte behandeln, wie Punkattitüden und -sounds von rechts übernommen werden – wie etwa jener von Jan Tölva, der Männlichkeit als Scharnier zwischen Punk und rechten Lebenswelten versteht. Und Viola Nordsieck und Tim Kegler blicken auf die Strategien von rechten Frauen in der Popkultur: Im Pop werden von jeher Gendergrenzen überschritten, aufgelöst und neu definiert – in dieser Spielart werden sie auch reaktionär restauriert. Auch hier lohnt sich ein Blick auf das Phänomen Gabalier, dessen Publikum exemplarisch die überkommene binäre Ordnung performativ wiederherstellt: In sexy Dirndl und knapper Lederhose dürfen Weiblein noch Weiblein und Burschen noch Burschen sein; eine – kein Widerspruch – artifizielle Renaturierung.
Von Gendertrouble(s) handeln auch Veronika Krachers Betrachtungen zu Rechtsextremismus und Memekultur. Kracher verdanken wir die ebenfalls bei Ventil erschienene Studie zur Incel-Subkultur der Alt-Right. Leider hat es der Incel, der «unfreiwillig Zölibatäre» als Prototyp des destruktiven bis eliminatorischen Maskulinismus, (noch) nicht so nachhaltig in sexualpolitische Debatten geschafft wie der soldatische Panzer aus Klaus Theweleits «Männerphantasien»: jener Panzer aus Angst vor und Hass auf Frauen, ohne den die Deutschen keine sechs Millionen Jüd:innen umgebracht hätten. Dabei weisen etwa die antisemitischen beziehungsweise rassistischen Täter von Halle und Hanau markante Merkmale von Incels auf, ganz zu schweigen vom norwegischen Massenmörder Anders Breivik.
Modus der Selbstausbeutung
Dass der Incel jenseits linker oder linksliberaler Diskurse noch immer ein nahezu unbekanntes Wesen ist, hat vielleicht auch mit der mangelnden Reichweite des kleinen Ventil-Verlags zu tun. Darunter leidet auch die Zeitschrift «Testcard».
Zeitschrift? Von wegen! Allenfalls könnte man sie vergleichen mit dem «Kursbuch» der Nach-68er-Jahre, nur mit dreimal so vielen Seiten, halbem Zeilenabstand und No Budget statt Low Budget. «Wir als Redaktion machen das so nebenbei», sagt Jonas Engelmann, Ventil-Verleger und in «Testcard» vertreten mit einem Essay über Hakenkreuze im Pop. «Es gibt keinen Mäzen, keine Fördergelder.» Die Autor:innen erhalten kein Honorar, was die Feinarbeit an Texten erschwert – wer will sich schon mit einer Redaktion streiten, wenns nicht mal Geld gibt? «‹Testcard› funktioniert nur, weil es Menschen gibt, die sich der kritischen Auseinandersetzung mit Popkultur verschrieben haben, weil ihr Herzblut dran hängt. Aber es ist noch da, das letzte poplinke Magazin», sagt Engelmann.
Diese Mangelwirtschaft ist manchen Texten anzusehen. «Testcard» muss und kann sich Zumutungen leisten. Ihrem nachsichtigen – besser: solidarischen – Publikum Texte zuzumuten wie «Pop & Faschismus – Thesen, Notizen», einen Textsteinbruch aus Skizzen und Geistesblitzen von Roger Behrens. «Testcard» muss sich das leisten, weil es sich nicht leisten kann zu sagen: «Hier, Roger, hast du 100 000 Euro, setz dich noch ’n Jahr hin und mach ein 500-Seiten-Buch draus.»