Charlie und die Empörungsfabrik
Die gute Nachricht: Literatur – sogar solche für Kinder – vermag die Leute noch zu bewegen. Allerdings sind im Fall der englischen Neuedition der Werke des 1990 verstorbenen Autors Roald Dahl («Charlie und die Schokoladenfabrik», «Hexen hexen») vor allem negative Emotionen im Spiel. Die britische Zeitung «The Telegraph» hatte kürzlich berichtet, dass Puffin Books, die auf Kinderbücher spezialisierte Sparte des Penguin Verlags, für eine Wiederveröffentlichung von Dahls Bücher diese an zahlreichen Stellen im Geiste der Inklusion geändert hat. So ist Augustus Gloop in «Charlie und die Schokoladenfabrik» fortan nur noch «enorm» und nicht «enorm fett», andere Figuren sind nicht länger «hässlich» oder «verrückt».
Diese Eingriffe brachten Puffin Books viel Kritik ein. So echauffierte sich etwa der Schriftsteller Salman Rushdie über die «absurde Zensur» und selbst der britische Premier (!) Rishi Sunak liess mitteilen, dass er die Änderungen nicht goutierte. Das zeigt, wie wichtig Dahl offenbar noch immer ist fürs englischsprachige Publikum, obgleich er selbst eine eher problematische Figur war: Mal empörte er mit antisemitischen Äusserungen, mal wurde seine Charakterisierung des Fantasievolks der Oompa-Loompas als kleinwüchsige Afrikaner:innen in «Charlie und die Schokoladenfabrik» als rassistisch kritisiert. Wegen Letzterem schrieb Dahl damals übrigens seine Geschichte um, er selbst also betrachtete seine Bücher keineswegs als sakrosankte Texte
Gleichwohl lässt sich fragen, wie sinnvoll es ist, eine Figur nur noch als «enorm» zu bezeichnen, wenn sich dadurch am evozierten Bild nichts ändert und zudem der Begriff «fat» mittlerweile von Leuten genutzt wird, die sich dezidiert gegen Bodyshaming engagieren. Deswegen aber jetzt «Zensur» anzuprangern? Eine staatliche Behörde war hier jedenfalls nicht am Werk. Eher noch kommerzielle Erwägungen: Den Verlagsverantwortlichen dürfte es darum gegangen sein, ihr Produkt für eine neue Generation potenziell kaufwilliger Eltern anzupassen.
Aus geschäftlicher Perspektive ist es natürlich keine Option, ein schlecht gealtertes Buch einfach nicht mehr zu vermarkten. Ob es dann aber für eine besonders aufgeklärte Pädagogik spricht, Passagen umzumodeln? Womöglich wäre es im Sinne der Bildung mündiger Subjekte sinnvoller, Heranwachsende dazu befähigen, stigmatisierendes Denken zu erkennen und einzuordnen, anstatt sie davon bloss abzuschirmen. Einer differenzierten Diskussion dürften aber wiederum die Befindlichkeiten Erwachsener im Weg stehen – nicht zuletzt derjenigen, die überall das Übel der «politischen Korrektheit» am Werke wähnen.
Fakten, Fakten, Fakten: Der Oberleguan rückt die Dinge zurecht.
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