Sprunghafter Anstieg!

«Fast zwei Drittel wollen die Zuwanderung begrenzen», so die fette Schlagzeile heute Montag auf der Titelseite des «Tages-Anzeigers» und anderer Tamedia-Zeitungen. Sie bezieht sich auf das Resultat einer Studie, die das Verlagshaus in Auftrag gegeben hatte.

50'740 Menschen haben daran teilgenommen, und die Umfragedaten seien von den Studienmacher:innen «modelliert» worden. Wie genau – das ist nicht klar nachvollziehbar. Eine der Fragen lautete jedenfalls: «Soll die Schweiz die Zuwanderung stärker begrenzen?» Darauf sollen 36 Prozent «Ja» und weitere 26 Prozent «Eher Ja» geantwortet haben.

Klimakatastrophe, Inflation, Mieten- und Nebenkostenexplosion, neuerdings auch noch eine milliardenteure Bankenrettung: Es gibt eine ganze Reihe wirklich dringlicher Themen, die in diesem Wahljahr die mediale Agenda diktieren könnten. Aus irgendeinem Grund aber zwängt sich da beharrlich diese Fixierung auf das Bevölkerungswachstum dazwischen. Oder eher: obendrüber.

Warum wohl? Es ist ja nun wirklich nicht so, dass die Bevölkerungszahl der Schweiz innert weniger Tage sprunghaft angestiegen wäre. Sie wächst kontinuierlich, seit langem, genau wie auch die hiesige Wirtschaft. Dass zwischen beiden ein direkter Zusammenhang besteht, leugnet übrigens kaum jemand.

Ein Blick in die Mediendatenbank ergibt aber, dass stattdessen etwas anderes sprunghaft angestiegen ist: nämlich der mediale Gebrauch der Schlagworte «9-Millionen-Schweiz» und – fast schon visionär – «10-Millionen-Schweiz».

Angefangen hat das Gerede von der «9-Millionen-Schweiz» letzten Sommer, angezogen hat es im Herbst, zunächst vor allem bewirtschaftet von «Weltwoche» und NZZ. Damals kündigte die SVP eine migrationsfeindliche Initiative an, die sie in einem besonders perfiden Akt der politischen Aneignung als «Nachhaltigkeitsinitiative» betitelte.

Bestellt hat das Thema die «Volkspartei», geliefert haben es dann insbesondere die Tamedia-Titel. Den finalen Aufschwung erlebten die zwei Schlagworte nämlich mit der Silvesternacht. Am 1. Januar meldete die «SonntagsZeitung» auf der Titelseite: «Migration wird zu einem der grossen Themen im Wahljahr 2023». Und gefühlt alle zogen mit. Finden sich in der Mediendatenbank fürs gesamte letzte Jahr 29 respektive 54 Treffer für «9-Millionen-Schweiz» und «10-Millionen-Schweiz», sind es in diesem Jahr bereits 288 und 224.

Heute heisst es im Kommentar des «Tages-Anzeigers» zur Tamedia-Umfrage: «Wer das Thema ignoriert, hat die Wahl schon verloren.» Die Umfrage fand bereits im Herbst 2022 statt – zwischen dem 24. Oktober und dem 13. November. Das Verlagshaus hat die eigene Themensetzung fürs Wahljahr offensichtlich gut antizipiert.

Fakten, Fakten, Fakten: Der Oberleguan rückt die Dinge zurecht.