Extremismus­experte im Hoch

Was ist ein Extremismusexperte? These: ein Mann mit gesteigertem Sendungsbewusstsein, der in den Medien auf der Basis von empirischem Pseudowissen Linksradikale exotisiert und Rechtsradikale verharmlost.

Einer von ihnen ist gerade im Hoch: Dirk Baier, angestellt als Professor am Institut für Delinquenz und Kriminalprävention der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Anfang April durfte Baier im «Blick» eine unbewilligte Demo mit Sachbeschädigungen in Zürich einordnen, bei «Nau» durfte er vergangene Woche den Zusammenhang zwischen Gefängnisstrafen und Pandemie erklären, und heute kommt Baier gleich in zwei verschiedenen Medien zu Wort: Auf srf.ch lesen wir ein Interview mit ihm zu den Ausschreitungen am 1. Mai in Zürich, im «Bund» eines zu einer unbewilligten Demo in der Berner Lorraine in der Nacht auf letzten Sonntag.

Nichts von dem, was Baier sagt, setzt wissenschaftliche Erkenntnis voraus oder ist in irgendeiner Weise erläuternd. Im Fall der Krawalle in der Lorraine analysiert er, die Szene sei «gut vernetzt», es herrsche «ein reger Austausch in Chats und auf sozialen Medien». Baier kennt auch die Strategie der Linksradikalen: «Mit Gewalt sollen die Gesellschaft und der Staat zu etwas gezwungen werden.» Und weiss, wieso diese scheitert: «Aus neutraler Sicht ist es das dümmste Mittel, da sich der Staat nicht erpressen lassen kann.» Bei SRF hat Baier sogar Tipps für die Polizei: «Man muss auch die Kommunikation in den sozialen Medien besser im Auge behalten.» Und gibt mit einem populären Mythos zu erkennen, dass er eine militante Demo wohl noch nie aus der Nähe gesehen hat: «Wenn Molotowcocktails geworfen werden, muss die Polizei handeln.» Hat ihm das sein Berufskollege Samuel Althof erzählt?

Wenig überraschend ist Baier nicht nur ein willfähriger Experte, sondern auch ein zweifelhafter Forscher. 2018 machte er mit einer Studie von sich reden, die die «Verbreitung extremistischer Einstellungen und Verhaltensweisen» unter Schweizer Jugendlichen untersuchte; eines der Kriterien für Linksextremismus: Punkbands hören, als Pendant zu Nazibands auf der gegenüberliegenden Seite. Doch Baier reproduziert nicht nur einfältiges Hufeisendenken, sondern auch rassistische Vorurteile. 2019 berichteten Medien über eine Studie eines Teams um Baier, die anhand von drei Kriterien untersuchte, wie gut integriert Jugendliche aus verschiedenen Herkunftsländern sind.

Doch was ist die Funktion von einem wie Baier in der öffentlichen Debatte, wenn Jour­na­list:in­nen dessen Leistung mit ihren Vorurteilen und ihrem Halbwissen auch selber liefern könnten? Es geht gerade nicht darum, Linksradikale zu verstehen, sondern sie als mysteriöse, irrationale Gruppierung im Untergrund darzustellen. Das Gegenteil von Erkenntnis ist Ideologie.

Fakten, Fakten, Fakten: Der Oberleguan rückt die Dinge zurecht.