Ausschreitungen in Zürich: Scheiben klirren

Nr. 14 –

Zürichs radikale Linke hat ein Problem: Sie wirkt unsympathisch und unzugänglich. Doch die Empörten machen es sich zu einfach.

Eines vorweg: Die WOZ hat mit mehreren Teilnehmenden der Demo von letztem Samstag gesprochen, Videos gesichtet und sich in Sachen Pyrotechnik weitergebildet. Und keine eindeutige Bestätigung dafür gefunden, dass im Zürcher Langstrassenquartier Molotowcocktails geworfen wurden. Weil sich der «Molli» aber so gut als Symbol der Eskalation eignet, wurde er trotzdem überall erwähnt: erst in der Medienmitteilung der Stadtpolizei, dann in fast allen Medien, von NZZ über SRF bis Tamedia. Nicht zum ersten Mal: Immer wieder geistert die explodierende Flasche durch die Medien, wenn es irgendwo in der Schweiz zu Ausschreitungen kommt. «Mollis» sind selbstgebastelte Brandsätze: auch angesichts jüngster Entwicklungen immer noch eine besonders extreme Form der Gewalt. Tatsächlich geworfen werden sie praktisch nie.

Grotesker Vergleich

Aber wer will sich denn jetzt noch mit Details auseinandersetzen – die Medienmitteilung der Stadtpolizei wird schon ausgewogen genug gewesen sein. Tatsächlich spricht zwar vieles dagegen, im Fall vom Samstag kann aber auch nichts mit Sicherheit ausgeschlossen werden: Die Gewaltbereitschaft der mehreren Hundert Personen, die unter dem Motto «Reclaim the Streets» durch die Strassen zogen, war unbestreitbar gross: Sprayereien, fliegende Pyrofackeln, eingeschlagene Scheiben und Angriffe auf Polizist:innen. Das trat einen medialen Flächenbrand los. Und an der Empörungsspirale wurde immer weitergeschraubt. Etwa von Extremismusexperte Samuel Althof, der in der NZZ ohne irgendeine Quellenangabe davon sprach, dass in einer Zürcher Besetzung ganze achtzig – Sie ahnen es – Molotowcocktails gefunden worden seien. Oder von Komiker Mike Müller, der die Demonstration auf Twitter mit der Reichskristallnacht verglich.

Verständnis für den Saubannerzug äussert niemand. Was angesichts der Bilder der Verwüstung ja auch verständlich ist. Und die Geschehnisse zeigen einmal mehr, dass die radikale Linke ein ernstes Problem hat: Sie wirkt unzugänglich, unsympathisch und vermag es nicht, einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln, wo ihre Wut herkommt, die sich in unregelmässigen Abständen entlädt. Und das, obwohl Zürich offensichtlich Wut verdient hat: Wohnungsnot, Klimazerstörung und die Unkontrollierbarkeit des Bankenkapitalismus schreien geradezu danach, radikal kritisiert zu werden. Alles Themen, die auch die Demonstrant:innen in einer Stellungnahme nennen und die im Getöse, in der Diskussion darüber untergehen, wer angefangen – und wie viele verletzte Polizist:innen es gegeben – habe (es waren laut Stadtpolizei sieben, von denen eine Person für Abklärungen ins Spital habe gebracht werden müssen).

Woher kommt die Wut?

Dass keine Debatte über die Forderungen der Demonstrant:innen stattfindet, liegt nicht nur daran, dass ihnen keine kohärente Erzählung darüber gelungen ist, worum es überhaupt ging. Allem Anschein nach versteht die breite mediale Öffentlichkeit die Wut nicht nur nicht – sie versucht erst gar nicht, sie zu ergründen. Dabei wäre es zentral, über diesen Schatten zu springen.

Die Empörung über die Gewalt ist verständlich, Kritik wichtig. Aber dabei darf man es nicht belassen. Wenn so viele in nur einer Nacht so viel Frust auslassen, ist es unabdingbar, nicht nur mehr Repression zu fordern, sondern sich auch ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Gerade in Zürich mit seiner langen Krawallgeschichte sollte das eigentlich selbstverständlich sein. Doch scheint sich die Stadt mittlerweile daran gewöhnt zu haben, sich nicht mehr mit radikaler und gewalttätiger Totalopposition auseinandersetzen zu müssen. Noch in den achtziger Jahren skandierten Demonstrant:innen jeweils: «Scheiben klirren, und ihr schreit, Menschen sterben, und ihr schweigt», wenn ihre Umzüge wieder auf öffentliches Unverständnis stiessen – nachdem tatsächlich Molotowcocktails auf Zürichs Strassen explodiert waren.