Kritische Zeiten: Es gibt kein Recht, zu gehorchen

Nr. 12 –

Die Welt ist bedrohlich weit nach rechts gekippt. Strategien gegen Lähmung und Verzweiflung.

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Stereogramm mit dem Kopf von Donald Trump (stellt zwei Hände dar, welchen den Mittelfinger zeigen)
Der US-Präsident zeigt deutlich, was er von der Welt hält. Das «magische Auge» entdeckt aber auch Widerstand, wenn es ohne zu fokussieren hinschaut. Stereogramm: WOZ

Hat da wieder jemand «Hoffnung» gesagt? Unter all den Widerworten gegen die geballten Verwerfungen der Gegenwart erlebt «Hoffnung» gerade die stärkste Konjunktur. Kaum ein Trost suchender Essay, der nicht die Kraft der Hoffnung beschwört. Das klingt oft nicht nur nach Predigt, sondern mündet auch in einer. Was auf der salbungsvollen Strecke bleibt: Wie vom Hoffen ins Handeln kommen?

Die Frage scheint auch Percival Everett umzutreiben. Bereits letzten November, kurz nach Donald Trumps erneuter Wahl, hat der Schriftsteller aus Los Angeles einen mächtigen Merksatz für unsere Zeit geprägt: «Hope really is no substitute for strategy»; Hoffnung kann uns nicht die Strategie ersetzen – egal wie erschlagen wir uns gerade fühlen.

Der alte Wiener Stuntman

Everett sagte dies in einer kurzen Dankesrede zum National Book Award, den er für seinen Roman «James» gewonnen hatte. Darin erzählt er Mark Twains «The Adventures of Huckleberry Finn» aus der Perspektive des Schwarzen Jim/James neu. «James» bleibt eine rasante Abenteuergeschichte. Doch im Zentrum steht die intellektuelle Ermächtigung einer Nebenfigur, die im Originalroman als rassistisches Klischee und trotteliger Sidekick des Protagonisten Huck verkümmert. Der Effekt ist auch für uns befreiend. Die Strategie dahinter: den Klassiker einverleiben, die Wahrnehmung umkehren, das Unrecht richten – wenigstens in Romanform.

Wenn sich unsere nach rechts gekippte Realität nur auch so elegant zurechtrücken liesse. Kürzlich lieferte der 81-jährige österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen wenigstens eine kleine Lektion in unerschrockener Realpolitik, die man sich merken darf. Kühl, aber tiefenentspannt empfing er den extrem rechten FPÖ-Obmann Herbert Kickl in seinem Wiener Amtssitz und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung. Sein Pokerface kontrastierte auffallend mit dem emotionalen Entsetzen in linksliberalen Kreisen über die Möglichkeit einer FPÖ-Regierung. Es war eine selbstbewusste Flucht nach vorn im Anblick der Gefahr. Als ob Van der Bellen damals schon genau gewusst hätte, dass der extremistisch abgedrehte, verblendete Kickl kläglich scheitern würde.

Das gesetzte Alter, die langjährige Erfahrung: Beides war beim stoischen Stunt wohl nicht unwichtig. Man beobachtet dies auch in der Popwelt: Nach dem peinlichen Theater um Taylor Swifts kümmerliche Wahlempfehlung für Kamala Harris kann man sich heute angesichts des autoritären Umbaus in Echtzeit vor allem auf die älteren Superstarsemester verlassen. Die vielgeschmähte Madonna: stabil, zitiert Brecht-Gedichte auf X. Catherine Deneuve eröffnete die Césars mit einer Widmung an die Ukraine. Und Jane Fonda nutzte eine Awardshow für einen historischen Exkurs zur McCarthy-Ära. Die alte Glamourgarde gibt sich kategorisch: Niemand hat das Recht, zu gehorchen. Überhaupt haben die elenden Zeiten zumindest einen Vorteil: Man weiss nun bei den meisten, wo sie politisch stehen – oder eben: wo sie umknicken wie trockene Schilfhalme oder einfach stumm bleiben.

Was Van der Bellens Poker auch vorführt: eine Variante des «leap of faith», also des beherzten Sprungs über den Abgrund des Misstrauens und der Angst vor dem Scheitern. Oder positiver: der «leap of faith» als Glaubensvorschuss fürs Gelingen, den wir leisten müssen, damit die Welt funktioniert. Die slowenische Philosophin Alenka Zupančič beschreibt in ihrem neuen Buch «Disavowal», wie die Wissenschaft, aber auch die Politik nicht ohne ein solches überspringendes Grundvertrauen handlungsfähig bleiben. Zweifeln ist gut – es dient der Wahrheitsfindung. Doch am Ende kommt kein Wissen ohne einen Rest Glauben aus. Bloss verspielen Wissenschaftler und Politikerinnen dieses systemrelevante Vertrauen überall dort, wo sie sich primär der Marktwirtschaft andienen. Überhaupt liefert der banale Grundsatz, dass Geld korrumpiert, einen erschreckend präzisen Kompass für die Gegenwart.

Ablenkung von der Wirklichkeit

Bereits nach der ersten Trump-Wahl hatte Zupančič angemerkt, dass es angesichts der weltweit vernetzten Rechten eine ebenso gut organisierte internationale Linke bräuchte, die etwa in den Migrationsdebatten nicht einfach mit humanitären Worthülsen argumentiert, sondern politisch. Zupančičs Denkgefährte Slavoj Žižek ergänzte das kürzlich mit der Warnung, dass der Drall zur Mitte der Linken immer schade. Wieso gibt es – mal als Gedankenspiel – keinen linken Björn Höcke? Einen Trump, aber in progressiv? Den heute etablierten extrem rechten Positionen fehle eine linke Gegnerin, die ähnlich radikal argumentiere, sagt Žižek. Diese Asymmetrie verschiebe das Feld immer weiter nach rechts, bis man Ursula von der Leyen problemlos eine Kommunistin schimpfen könne.

«Du stellst die falschen Fragen!» Mit diesem Appell nervt die von Jodie Foster entwaffnend kratzbürstig gespielte Ermittlerin in der letzten Staffel von «True Detective» ihren Lehrling auf Schritt und Tritt. Auch wir sollten uns weniger fragen, warum Trump gewonnen hat. Viel entscheidender ist: Warum haben die anderen verloren? (Mögliche Antworten: Siehe oben.) Zeigen doch viele Wahlanalysen: Trump hat nicht gross zugelegt an Stimmen, aber die Demokrat:innen haben seit dem letzten Urnengang viele eingebüsst. Der Soziologe Steffen Mau konstatierte nach den deutschen Wahlen sogar, die AfD sei «ausmobilisiert», habe ihr Potenzial ausgeschöpft. Das ist ein Grund zur, Pardon, Hoffnung, heisst aber vor allem: Wir sollten uns bei aller nötigen Wachsamkeit nicht zu sehr auf Trump und andere Autokraten konzentrieren, sondern auf den Neubau einer schlagkräftigen, eigenständigen Opposition, auf die Rückeroberung der Desillusionierten.

Was nicht ganz einfach ist. Denn Trump und Co. bieten eben auch ein höllisches Unterhaltungsprogramm, dem man sich nur schwer entziehen kann. Nicht umsonst quittiert Trump seine Shitshow mit Selenski im Oval Office mit dem Spruch: «Das wird ein TV-Hit!» Ein schon etwas älteres Trump-Meme fragt mit einem Zitat aus dem Film «Gladiator» scheinheilig: «Are you not entertained?» – bin ich nicht ein guter Zeitvertreib? So paradox es klingen mag: Trump ist auch eine Ablenkung von der Wirklichkeit.

Seit Jahren wird George Orwells «1984» als Warnspiegel für die Gegenwart herbeizitiert. Warum stattdessen nicht mal wieder Neil Postmans «Wir amüsieren uns zu Tode» aus dem Regal ziehen? Um uns dann zu fragen, wie wir den Dauerlärm der Rechten ausblenden und uns auf eigene Strategien konzentrieren können. Vermutlich nicht mit Doomscrolling am Handy, versteinert, bis sich nur noch ein Daumen am Bildschirm bewegt. Und auch nicht, indem wir schreckensstarr ins Mündungsfeuer von präsidialen Verfügungen, schlechten Nachrichten, Fake-Posts und Propagandareden glotzen.

Gefährlicher Blödsinn

Wenn etwa Alice Weidel in ihrem schmierigen Flirt mit Elon Musk Hitler als Kommunisten bezeichnet, muss das Für und Wider der absurden Behauptung nicht lange abgewogen werden. Die knappe Antwort darauf kann nur lauten: Das ist Blödsinn. Die Kommunist:innen waren Hitlers Erzfeind:innen, er hat sie verfolgen und ermorden lassen. Jede weitere Erörterung von Weidels perfider Falschaussage spielt bloss der AfD in die Hände.

Überhaupt hat die Propaganda der Rechten eine fiese Logik: Wer ihre Aussagen bloss zusammenfasst, hat bereits verloren. Zu Recht hat die Propagandaexpertin Sylvia Sasse darauf hingewiesen, dass man etwa die Behauptung von J. D. Vance, die Meinungsfreiheit sei in Gefahr in Europa, nicht einfach nacherzählen kann, als sei sie möglicherweise wahr, sondern dass man diese «Verkehrungen ins Gegenteil» auf die Füsse stellen – und den Vorwurf an den Absender zurückspielen muss. Erschwerend kommt hinzu, dass solche Propagandalügen heute auf Chatbots, Medien in der Krise und erschöpfte oder frohlockende Journalist:innen treffen.

Sich nicht ablenken und von den Rechten einspannen zu lassen, ist anstrengend. Wichtig sind freilich auch eigene Ablenkungsmanöver gegen rechts, so wie sich die Versklavten bei Percival Everett ironische Freiräume verschaffen, indem sie den Weissen vorgaukeln, sie seien abergläubische Schwachköpfe und könnten kein richtiges Englisch. Sie nennen das «signifying» – Schau- und Wortspiele, Zeichenschmuggel. Andere Strategien in der Not, die man von ihnen lernen kann: Freundschaften pflegen, Bücher lesen, gut essen, solidarisch sein und Banden bilden. Ist doch klar.