AHV-Finanzierung: Hickhack ist programmiert
Die Auseinandersetzung um die Finanzierung der AHV hält an. SVP und FDP reden das Sozialwerk weiterhin in die Krise. Ob sie mit ihrer ideologischen Verbissenheit Erfolg haben, wird sich nächste Woche im Parlament zeigen. Eine Auslegeordnung.

Das Muster ist so alt wie die AHV selbst: Seit Jahrzehnten malen rechte Ideolog:innen aus Wirtschaft und Politik den baldigen finanziellen Ruin der Alters- und Hinterlassenenversicherung an die Wand – sofern nicht das Rentenalter angehoben werde. «Wenn ich alt bin, gibt es keine Rente mehr»: Diese Befürchtung vieler jüngerer Menschen begleitet die Geschichte der AHV, seit es sie gibt. Die Realität hat diese Angstmacherei stets widerlegt. Und auch aktuell ist das trotz ungünstiger Demografie der Fall: Die Ende August publizierten Finanzperspektiven des Bundesamts für Sozialversicherung sehen das Sozialwerk auch in den nächsten fünfzehn Jahren solide aufgestellt – sofern das Parlament den Auftrag für die 13. AHV ernst nimmt und diese baldmöglichst finanziert.
Gründe für die nun erfolgte Korrektur sind unter anderem die weniger rasch steigende Lebenserwartung und damit eine geringere Zunahme von Menschen im Pensionsalter als zuvor angenommen. Die neue Prognose rechnet drei Perspektiven durch: Ohne zusätzliche Finanzierung der 13. Rente drohen ab 2026 bis voraussichtlich 2040 hohe Milliardendefizite. Folgt das Parlament hingegen der bundesrätlichen Vorlage (zusätzlich 0,7 Prozent Mehrwertsteuer), sinken diese Defizite deutlich. Und sagt das Parlament Ja zum Finanzierungsvorschlag des Ständerats – er will nicht nur die 13. AHV finanzieren, sondern auch eine allfällige Erhöhung der Ehegatt:innenrente –, fallen die Defizite am Ende des nächsten Jahrzehnts gar noch tiefer aus. Bei dieser Lösung bliebe der AHV-Fonds weitgehend im Gleichgewicht und sicherte damit auch das Rentenniveau für die nachfolgenden Generationen.
Was ausserdem in der Debatte meist untergeht: Die oben erwähnten Zusatzfinanzierungen sichern die Renten für die geburtenstarke Babyboomergeneration. Ab 2040 lässt der Druck aufgrund der demografischen Entwicklung stark nach. Allerdings sind auch die neuen Finanzperspektiven wie jede Prognose mit Unsicherheiten behaftet.
Gerade deshalb ist eine rasche Finanzierung zur Sicherung des wichtigsten Sozialwerks entscheidend. Jedes Jahr ohne Lösung verteuert die AHV-Finanzierung erheblich.
Vorausschauende Ständeratslösung
Der Ständerat hat bereits Mitte Juni mit 23 zu 17 Stimmen einer vorausschauenden Finanzierungslösung zugestimmt: Die 13. AHV soll ab 2028 mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,5 Prozentpunkte und einer Anhebung der Lohnprozente um insgesamt 0,4 Prozentpunkte finanziert werden. Im Hinblick auf das hohe Eigenkapital der Arbeitslosenversicherung (ALV) von 8,8 Milliarden Franken rechnet der Ständerat damit, dass die Lohnabzüge der ALV um 0,2 Prozentpunkte sinken – das wiederum könnte der AHV zugutekommen, sodass deren Lohnprozente bloss um 0,2 statt um 0,4 Prozentpunkte erhöht werden müssten. Angestellte hätten somit bloss einen Abzug von 0,1 Lohnprozenten für die Finanzierung der 13. AHV zu tragen.
Als Reaktion auf eine Initiative der Mitte-Partei, die anstelle der heute eineinhalb Renten für verheiratete Paare neu zwei volle Renten für Ehepaare einführen und sie damit unverheirateten Paaren gleichstellen will, gleiste die kleine Kammer dafür bereits eine allfällige Finanzierung auf. Für den Fall, dass die Initiative an der Urne angenommen wird, hat sich der Ständerat bereits vorsorglich für deren Finanzierung mit 0,5 Mehrwertsteuerprozenten ausgesprochen. Widerstand gegen diese Lösungen kam insbesondere von Standesvertreter:innen aus FDP und SVP, aber auch von konservativen Mitte-Exponenten. Jetzt liegt der Ball beim Nationalrat, der das Geschäft nächste Woche in der Septembersession berät.
Das rechtsbürgerliche Trauma
Drei Abstimmungen im vergangenen Jahr haben besonders die FDP politisch schwer traumatisiert, die SVP-Parteispitze desavouiert und die Wirtschaftsverbände geschockt: Die Stimmberechtigten verwarfen die freisinnige Initiative zur Rentenaltererhöhung haushoch, sie sagten klar Ja zu einer 13. AHV und versenkten die BVG-Reform. Parteipräsident Thierry Burkart verkündete damals, ein AHV-Ausbau müsse ausschliesslich durch Einsparungen im Bundeshaushalt finanziert werden, Steuererhöhungen kämen für die FDP nicht infrage.
Der Schock wirkt bis heute, die Rechtsbürgerlichen spekulieren im Hinblick auf die nächste AHV-Reform auf eine Rentenaltererhöhung – als ob es dagegen im vergangenen Jahr kein klares Verdikt der Stimmbevölkerung gegeben hätte. Das lässt sich an den vergangene Woche gefassten Beschlüssen der nationalrätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit zuhanden des Nationalrats ablesen – auch wenn FDP und SVP erzwungenermassen eine leichte Lernkurve verzeichnen.
Demnach will eine knappe Kommissionsmehrheit (13 zu 12 Stimmen) die 13. AHV ausschliesslich mit 0,7 Mehrwertsteuerprozenten und nur bis 2030 finanzieren – danach soll eine neue AHV-Reform greifen. Es ist absehbar, dass dann abermals eine Rentenaltererhöhung zum Thema gemacht wird. Eine starke Kommissionsminderheit setzt hingegen im Grundsatz auf die vom Ständerat bevorzugte Lösung.
Immerhin sieht die nationalrätliche Kommission davon ab, in bestehende Renten einzugreifen. Mit einer Ausnahme: Kinderlose Witwen erhalten künftig keine Witwenrente mehr (es sei denn, sie sind 55 Jahre oder älter; auch kinderlose Witwen ab 50, die Ergänzungsleistungen beziehen, behalten weiterhin ihre Rente). Künftig sollen nur noch Verwitwete (neu auch Männer und Unverheiratete) eine Rente bekommen, die Kinder und Auszubildende betreuen. Die Kommission beschloss ausserdem:
- Neue Ehepaarrenten sollen nicht mehr plafoniert werden. Für laufende Renten jedoch soll der Plafond von 150 Prozent weiterhin gelten. Zur Finanzierung sagt die Kommissionsmehrheit nichts.
- Der Verwitwetenzuschlag von 20 Prozent soll für neue AHV- oder IV-Rentenbeziehende abgeschafft werden. Wer bereits eine dieser Renten bezieht und verwitwet ist, soll aber weiterhin zuschlagsberechtigt sein.
- Nicht erwerbstätige Eheleute sollen nicht mehr von der Beitragspflicht an die AHV befreit werden können.
- Es sollen keine neuen Alterskinderrenten in der AHV und der obligatorischen beruflichen Vorsorge ausgerichtet werden, laufende Renten sind nicht betroffen.
Gerade der letzte Punkt ist umstritten und zeigt, wie gnadenlos bürgerliche Politik sein kann. Der Bundesrat etwa ist gegen die Abschaffung dieser Renten. Denn die Renteneinkommen alter Eltern sind deutlich tiefer als ihr früheres Lohneinkommen. Heute zahlt die AHV rund 250 Millionen Franken pro Jahr an Alterskinderrenten aus. Verglichen mit den jährlichen Rentenauszahlungen von aktuell 51 Milliarden Franken erscheinen diese als Peanuts. Werden die Alterskinderrenten abgeschafft, und danach sieht es aus, sollen nur noch arme pensionierte Eltern via Ergänzungsleistungen unterstützt werden.
Ausgang offen
Dass sich der Nationalrat bereits in der Septembersession nicht nur selbst, sondern auch schon mit dem Ständerat einigt, ist äusserst unwahrscheinlich. Die knappen Kommissionsentscheide spiegeln auch die Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat. Dessen Kommission möchte die bundesrätliche Vorlage zur Hinterlassenenrente (Witwenrente) mit ihren eigenen Vorschlägen ergänzen und als indirekten Gegenvorschlag zur Mitte-Initiative «Ja zu fairen AHV-Renten auch für Ehepaare» einbringen. Auch Ideen wie etwa eine Schuldenbremse für die AHV stehen im Raum. Zudem gab es in der Kommission Anträge von starken Minderheiten – wie etwa jenen, den Plafond der Ehegatt:innenrente nur auf 175 Prozent anzuheben, oder jenen, der ständerätlichen Finanzierungslösung zu folgen. Ein Hickhack ist programmiert. Schliesslich müssen sich am Ende Nationalrat und Ständerat darüber einigen, wie sie die 13. AHV und die höheren Ehegatt:innenrenten finanzieren wollen.
Allein dieser Einigungsprozess kann sich bis in die Dezember- oder Frühlingssession hinziehen. Bis zu dreimal wechseln die Geschäfte von einer Kammer zur anderen. Ist immer noch keine Lösung auf dem Tisch, kommt es zu einer Einigungskonferenz. Gibt es auch dann keine Lösung, ist das Geschäft abgeschrieben. Aber selbst wenn sich die beiden Kammern zusammenraufen, könnten Referenden den Prozess bremsen.
Der Gewerkschaftsbund hat sich nach den Beschlüssen der Nationalratskommission bereits zu Wort gemeldet: Rentenkürzungen bei Witwen und Kindern, unfinanzierte Zusatzrenten für Ehepaare und ein Spiel mit neuen Defiziten seien unverantwortlich. Der Ton ist schon mal gesetzt.