Spitalplanung: Die Geburt als Kostenfaktor
In der Schweiz schliesst eine Geburtenabteilung nach der anderen. Das droht nun auch in Langenthal. Was bedeutet das für die betroffenen Menschen? Und wie könnte eine wohnortsnahe Geburtshilfe der Zukunft aussehen?

«Die angekündigte Schliessung der Geburtenabteilung ist für uns Hebammen ein Schlag ins Gesicht», sagt Raël Gafner. «Es kann nicht sein, dass in einem so wohlhabenden Land bei einem so wichtigen und sensiblen Lebensereignis gespart wird.» Seit über achtzehn Jahren arbeitet die Hebamme im Spital Region Oberaargau (SRO) in Langenthal – nach zwölf Jahren im Gebärsaal war sie in den letzten Jahren in der Hebammensprechstunde und als Kursleiterin tätig.
Am Montagmittag, 30. Juni, informierte die Geschäftsleitung die Mitarbeitenden ohne jede Vorwarnung: Ab Oktober sollen im Spital Langenthal keine Geburten mehr durchgeführt werden und Schwangere stattdessen ins Spital Burgdorf ausweichen. Wenige Stunden später protestierten gegen hundert Menschen vor dem Haupteingang.
In den Jahren zuvor wurden im Kanton Bern bereits acht Geburtskliniken geschlossen. Es ist ein landesweiter Trend: 2010 gab es in der Schweiz noch 117 Geburtenabteilungen, heute sind es noch 89. Zuletzt wurden Abteilungen in Thusis, Cham und Frutigen geschlossen, jene in Muri AG steht kurz vor dem Aus.
In Langenthal sind fünfzehn Hebammen und zwei Stillberaterinnen direkt von der Schliessung betroffen. Auch viele auf der Wochenbettstation und in der Gynäkologie tätige Frauen werden sich neu orientieren müssen. Als Grund für die Schliessung nennt der Verwaltungsrat die hohen Ausgaben der Abteilung und verweist auf den seit Jahren kontinuierlichen Geburtenrückgang. In Langenthal waren es im vergangenen Jahr noch 556, in Burgdorf 874 Geburten. Laut Verwaltungsrat braucht es mindestens 900 Geburten pro Jahr, damit eine Geburtenabteilung rentiert. Allein in Langenthal entstehe pro Jahr ein Verlust von über zwei Millionen Franken.
Lebensfeindliche Logik
Für die rund 80 000 Menschen im Grossraum Langenthal wäre eine definitive Schliessung einschneidend. «Wir waren geschockt, als wir kurz vor den Sommerferien über den Entscheid informiert wurden», sagt Stadtpräsident Reto Müller (SP). «Bis dahin hatten weder der Regierungs- noch der Verwaltungsrat Kontakt mit uns aufgenommen.» Was Müller besonders erzürnt: «Wie schon in anderen Spitälern im Kanton wird zuerst beim Angebot für Frauen gespart. Dabei gehört die Geburtshilfe zur Grundversorgung. Statt Geburtenabteilungen zu schliessen, sollte man besser über ein angemessenes Tarifsystem nachdenken. Müssen Geburten rentieren? In dieser Logik müsste man ja geradezu auf möglichst viele komplizierte Geburten hoffen.»
Gleich nach der Schocknachricht setzte sich der Gemeinderat mit Hebammen und Frauenärzt:innen zusammen und bildete einen Ausschuss: «Am 10. Juli machten wir dem SRO ein Angebot», sagt Müller. «Wir offerierten 150 000 Franken à fonds perdu, um beispielsweise zusammen mit der Stiftung Geburt 3000 eine kostensparende Alternative aufzubauen.» Ende Juli kam die Absage des Verwaltungsrats. Gegenüber der WOZ lässt er ausrichten, man habe das Konzept von Geburt 3000 und weitere Partnerschaften geprüft und sei zum Schluss gekommen, «dass keine dieser Alternativen das fundamentale Problem einer zu tiefen Anzahl Geburten lösen kann».
Für Renate Ruckstuhl-Meier, Projektleiterin der Stiftung Geburt 3000, kam die Nachricht, dass die Geburtenabteilung in Langenthal geschlossen werden soll, umso überraschender: «Bis wenige Wochen zuvor hatten wir über mehrere Monate sehr konstruktive Gespräche mit der damaligen Spitaldirektion und der ärztlichen Leitung der Geburtshilfe. Eine konkrete Projektidee für eine hebammengeleitete Geburtshilfe war in Erarbeitung.»
In diesem Konzept, das die Stiftung mit Wissenschaftler:innen der Berner Fachhochschule entwickelt hat, würden normale physiologische Geburten in einer Allianz zwischen dem Spital und einem autonomen, ausserklinischen Hebammenteam und unterstützt von Geburt 3000 in einem Geburtspavillon auf dem Spitalareal stattfinden. Kaiserschnitte sowie Notfälle würden weiterhin im Spital durchgeführt und behandelt. Für den Wochenbettaufenthalt könnten die frei werdenden Räume des Spitals genutzt werden.
Der Behauptung des Verwaltungsrats, dass auch bei dieser Lösung ein Notfallteam rund um die Uhr bereitstehen müsste, entgegnet Ruckstuhl-Meier: «Das Hebammenteam könnte bei Notfällen und Kaiserschnitten die Belegärzt:innen im Spital unterstützen.» Letztere hätten sich in den Gesprächen mit Geburt 3000 auch schon bereit erklärt, für solche Situationen bereitzustehen. «Voraussetzung dafür wäre aber die Aufrechterhaltung des Pikettdiensts von Anästhesie und OP-Team.»
Viel Marketing, null Dialog
Mit dem Spital Uster ist die Stiftung Geburt 3000 kürzlich eine erste solche Partnerschaft mit einem Regionalspital eingegangen. Die Zukunft einer funktionierenden Geburtshilfe in Wohnortnähe könnte in eine Richtung gehen, in der hebammengeleitete Geburten in unmittelbarer Nähe von Spitälern eine immer grössere Rolle spielen. Pikanterweise wurde in Langenthal erst vor zwei Jahren ein spitaleigenes Geburtshaus für hebammengeleitete Geburten eröffnet, bei denen die permanente Präsenz einer Ärztin nicht nötig wäre und ein Hintergrunddienst reichen würde. Ein Ausbau dessen könnte die wohnortsnahe Geburtshilfe bewahren – und zugleich den Spitalbetrieb entlasten. Auch der Ende Mai zurückgetretene langjährige Spitaldirektor Andreas Kohli soll eine solche Lösung verfolgt haben. Der Verwaltungsrat jedoch hält an seiner Beurteilung fest. Der Entscheid sei abschliessend, meldet er via Marketingabteilung. Womit auch das Geburtshaus bald seine Türen schliessen muss.
Die technokratische Sicht des Verwaltungsrats spiegelt sich in seiner Zusammensetzung: Sechs der sieben Mitglieder sind Männer, ebenso viele leben nicht in der Region, nicht ein einziges Mitglied hat einen fachlichen Bezug. Vielleicht deshalb findet es der Verwaltungsrat auch unproblematisch, Gebärenden eine dreissigminütige Fahrzeit nach Burgdorf, Solothurn oder Sursee zuzumuten. Dass es besonders für Familien ohne Auto oder mit finanziellen Problemen schwierig werden könnte, rechtzeitig die nächste Geburtsklinik zu erreichen, und dass in Notsituationen jede Minute entscheidend sein kann, scheint das Gremium kaltzulassen. Auch die Kommunikation gegenüber der Öffentlichkeit ist frostig. Will man als Medienvertreter mit der stellvertretenden Chefärztin oder der Bereichsleiterin der Frauenklinik sprechen, wird man auf die Marketingabteilung verwiesen. Auch Verwaltungsratspräsident Christian Schmid lässt Anfragen vom Marketing beantworten. So heisst es dann: «Die Konzentration der Geburtshilfe auf Burgdorf bildet den Startschuss für ein zukunftsgerichtetes, neues Angebot in der geburtshilflichen Grundversorgung.»
Breiter Widerstand
Oder nicht eher für eine Sturzgeburt? Inzwischen haben über 12 000 Personen eine Petition unterschrieben, die vom Spital Region Oberaargau den sofortigen Stopp aller Schritte zur Schliessung der Geburtshilfe in Langenthal fordert. Am 14. Juli reichten zudem sechzehn Berner Grossrät:innen aus allen Parteien eine Motion ein. Der Regierungsrat soll «unverzüglich eine Gesamtstrategie zu den Listenspitälern mit besonderem Fokus auf die Geburtenabteilungen» vorlegen und bis dahin die Schliessung von Spitalabteilungen sistieren. Auch sei sicherzustellen, dass bei solchen Schliessungen die Standortgemeinden und Regionen frühzeitig einbezogen würden und die betroffenen Regionen, Fachrichtungen und Geschlechter angemessen in den Verwaltungsräten vertreten seien. Auf die Frage, ob im Entscheidungsprozess zur Schliessung der Geburtshilfe in Langenthal medizinisches Fachpersonal und Vertreter:innen der Regionalpolitik einbezogen worden seien, lässt der zuständige Regierungsrat Pierre-Alain Schnegg (SVP) über seinen Mediensprecher ausrichten: «Die strategische Ausrichtung der SRO AG bestimmt der Verwaltungsrat der AG.»
Ob die als dringlich eingereichte Motion noch vor dem angekündigten Schliessungstermin behandelt wird, ist fraglich. Doch auch falls das Aus der Geburtsklinik in Langenthal nicht mehr verhindert werden sollte, sei der Kampf wichtig, betont Raël Gafner. «Es braucht dringend innovative Modelle, um sicherzustellen, dass keine weiteren Abteilungen geschlossen werden. Geburtshilfe ist eine Grundversorgung und sollte nicht zum Luxus werden. Dazu gehört eine wohnortsnahe Geburtshilfe.»