Pop: Zur Gruppe gehören alle

Nr. 17 –

Ja, Panik wollen mehr sein als eine Band. Auf ihrem ersten Album nach sieben Jahren klingen sie vertrackter, aber auch atmosphärischer denn je.

Wie bringt man ein Fitzelchen Utopie in die reale Welt? Andreas Spechtl, Stefan Pabst, Laura Landergott und Sebastian Janata sind Ja, Panik. Foto: Max Zerrahn

Als Andreas Spechtl, der schmächtige Sänger und Songschreiber der Gruppe Ja, Panik, im Frühling 2020 in Genua von der Fähre steigt, liegt die Stadt in einer «Zona Rossa». In Italien wütet die erste Welle der Pandemie, und Spechtl reist von Tunesien in Richtung Berlin. Im Gepäck hat er die Songs des neuen Ja, Panik-Albums «Die Gruppe». Darunter «Apocalypse or Revolution»: der perfekte Soundtrack für eine Reise durchs coronagebeutelte Europa.

Auf «Apocalypse or Revolution» singt Spechtl mit fiebriger Stimme und leisem österreichischem Akzent: «Wenn du dich fühlst wie ein Tschick, der sich von selber raucht». Der Dreiklang der gezupften Gitarre drängt eisern voran, der Synthesizer fiept unheilvoll, und das Saxofon zetert im Ungefähren. Spechtl beschwört eine antikapitalistische Götterdämmerung: «Hier ist so lang nichts passiert / Hier kann nur eines passiert sein / Es hat sich ewig versteckt / Jetzt ist es da und stellt Fragen / Du wirst die Antwort verfluchen / Apocalypse or revolution».

Seit 2005 projiziert Spechtl als Songwriter von Ja, Panik seine innere Zerrissenheit auf eine anscheinend immer verworrenere Gegenwart. Auf dem Album «DMD KIU LIDT» (2011) perfektionierte die Gruppe ihre Mischung aus gesellschaftskritischem Indiepop und linkem Dandytum. Der Albumtitel war ein Akronym für «Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit». Den Slogan las man später an Fassaden. 2014 tauschte die Gruppe die Ohnmacht gegen die Utopie: «Libertatia» hiess der erdachte Anarcho-Inselstaat im Weltall, und das gleichnamige Album war ein elektronischer Aufbruch ins tanzende Morgen. Doch dann wurde es schrecklich lange still um die ÖsterreicherInnen aus Berlin.

Kurzfristige Alliierte

Schlagzeuger Sebastian Janata schrieb in der siebenjährigen Pause der Gruppe den feministischen Heimatkrimi «Die Ambassadorin» (2020), und Spechtl reiste mit Kunststipendien durch die Welt und veröffentlichte drei reduzierte Soloalben. Von Ja, Panik drangen lediglich Auflösungsgerüchte an die Öffentlichkeit. Mit dem Alltag der Bandmitglieder hätten diese jedoch wenig zu tun gehabt, sagt Andreas Spechtl im Gespräch: «Es verging kaum eine Woche, in der ich nicht ein Mitglied der Gruppe traf.» Ja, Panik sei für ihn ein Lebensmodell: «Darum bestehen wir auch auf der Selbstbezeichnung ‹Gruppe›. Weil sie sich im Gegensatz zu ‹Band› nicht auf die Musik beschränkt.» Seit er fünfzehn Jahre alt ist, macht Spechtl mit Stefan Pabst Musik. Die beiden gründeten Ja, Panik in der österreichischen Provinz des Burgenlands; sie zogen über Wien nach Berlin, und aus einer Formation von vier Typen wurde ein diverseres Kollektiv: Seit 2014 gehört die Gitarristin und Keyboarderin Laura Landergott dazu, und für das neue Album spielte Rabea Erradi die tragenden Saxofonpassagen ein.

Konsequenterweise heisst das neue Album «Die Gruppe», und sein programmatischer Kern ist der gleichnamige Song. Darin proklamiert Sänger Spechtl im aufbäumenden Refrain zwischen schwindligen Gitarren und stampfender Perkussion: «In den Unterschied, der vor uns liegt / Trete ich ein / Weil eine Gruppe möchte ich sein». Doch Spechtl möchte den Kollektivgedanken gerade nicht als Widerspruch zur Individualität verstehen. So sagt er im Gespräch: «Ein linkes Wir kann es nur in der ständigen Anerkennung aller Unterschiede zwischen den Einzelnen geben.» Er spricht von «kurzfristigen Allies», die sich für eine Idee oder Sache zusammentäten und dann weiterzögen. So ist die «Die Gruppe» auch eine Gegenerzählung zum vorherrschenden Individualismus: Menschen leben und sterben in Beziehungen. Oder wie Spechtl sagt: «Zur Gruppe gehören alle.»

Kratzer im Screen

Nach dem elektronischen «Libertatia» drängen auf dem Album «Die Gruppe» die Gitarren deutlicher in den Vordergrund: Sie schrammen, scheppern, wummern im Maschinenraum. Janatas Schlagzeug stachelt sie dabei mit trocken-gedämpften Beats an, und Laura Landergott kitzelt aus ihren Synthies immer wieder Störgeräusche. Zusammen mit den entrückten Saxofontiraden von Rabea Erradi ist «Die Gruppe» das bis anhin vertrackteste, gleichzeitig jedoch atmosphärischste Album von Ja, Panik. Ein schnörkelloser Rocksong wie «The Cure» bestätigt nur die Regel: «Die Gruppe» steckt voller musikalischer und textlicher Andeutungen.

So auch im autobiografischen Song «1998»: Darin besingt Spechtl das Internet, benennt es jedoch klugerweise nie als solches, stattdessen singt er von der «Memory Machine» oder der «World Wide Wall». Seine erste Begegnung mit dem Internet wird zum Schlüssel für eine Sprache, die Plattitüden umschifft. Spechtl hat diese Zeilen teilweise vor Jahren in Notizbücher gekritzelt oder in sein Handy getippt. Die Pandemie holte sie nun in die Gegenwart, die gerade allzu oft ins Netz verlegt scheint.

Im kopfnickenden «On Lifestream» schliesslich giesst er unsere Lockdown-Lebensrealität vorm Bildschirm in einen bestechenden Zweizeiler: «Life is a dream / On Lifestream». Diese gestreamte Realität ist in den neuen Songs von Ja, Panik jedoch immer schon brüchig: So durchzieht ein «Kratzer» den «Screen», und der «Riss der Welt» geht durch das «Device». «Im Bruch tut sich auf, was andere versuchen zu kitten», sagt Spechtl. Wo etwas herausquelle, könne man auch hineinkriechen. Dieses utopische Potenzial stecke auch in der Kunst: «Sie ist eine der wenigen Spielarten des menschlichen Seins, wo du Utopien ausprobieren kannst. Und wenn du es schaffst, auch nur ein Fitzelchen davon in die reale Welt rüberzutragen, dann hats was gebracht.»

Ja, Panik: Die Gruppe. Staatsakt. 2021