CU there : Sinnkrise im Superblock

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Wie das so ist, kommt es immer anders, und diesmal hat mich das Leben zur chosen family nach Barcelona gespült. Der Grund meines Besuchs ist nicht schön, und er lässt mir viel Zeit, mich in dem zu üben, was ich gar nicht kann (warten) und was ich gut kann (flanieren). 

Barcelona: Königin der Begegnungszone! Die heissen hier «Superblocks», was nach Proteinriegeln für Gym-Queens klingt, aber einfach meint, dass einzelne Häuserblöcke zu einem Cluster zusammengefasst werden. Fussgänger:innen haben Vortritt, es gibt Radwege, Spielplätze und Begrünungsmassnahmen. Ziel sind bessere Luftqualität, Schutz vor Hitzeinseln, Möglichkeiten zur Bewegung etc. In Barcelona stehen pro Person nur rund 6,64 m² Grünfläche zur Verfügung, ein Bruchteil der Werte in Zürich (79 m²) und Bern (131 m², lucky you!). 

Eine Google-Suche zu den Superblocks später lese ich von einer geplanten «Selfie-Zone» vor der Sagrada Familia. Die Bewohner:innen Barcelonas wehren sich schon lange gegen den Massentourismus, zuletzt mit grossen Demonstrationen. Die Stadt reagiert nun mit baulichen Massnahmen, um die Menschenströme besser kanalisieren zu können: Schöne neue Begegnungszone.

Wer begegnet sich hier? Häufig sind es junge Menschen und Mittelschichtsfamilien auf der Suche nach «authentischen» Erfahrungen in europäischen Grossstädten, sei es Budapest, Berlin oder eben Barcelona. Viele reisen häufig oder werden durch Arbeit und Studium zu temporären Bewohner:innen. Der Druck auf Wohnraum nimmt zu, aus Lebensmittelläden werden hippe Bars: ein klassischer Gentrifizierungsprozess. Was die Frage aufwirft: Was macht Menschen eigentlich zu Tourist:innen? 

Lisa Vollmer spricht in «Strategien gegen Gentrifizierung» von einer «Touristifizierung des Alltagslebens», heisst, dass wir den öffentlichen Raum als eine konsumierbare, kommerzialisierte Zone begreifen, die der Selbstverwirklichung, als Hintergrundfolie des eigenen Status dienen soll, auch an unseren Wohnorten. Ich fühle mich ertappt, so wie insgesamt bei der Lektüre von Vollmers Buch. Wenn wir mit dem Finger auf die anderen zeigen – Touris, Yuppies, Segway-Fahrer:innen –, wird der Ausdruck der Konflikte benannt, nicht ihre Ursache: kapitalistische Profitlogik in der neoliberalen Stadt. Also streiten wir über Matcha-Latte-Läden, während die Strukturen unangetastet bleiben. 

Denke ich, während ich mich durch eine Menge an der Sagrada Familia quetsche, bemüht, nicht wie ein:e Tourist:in auszusehen. Umsteigen auf die Metro Richtung Wohnquartiere, wo die Strassen eng und steil sind, die Apothekendichte hoch. Hier oben gibt es übrigens keine «Superblocks» und keine stylischen Begrünungsmassnahmen, worauf mich die chosen family mit Nachdruck hinweist. Dafür ist der Ausblick spektakulär. CU im Hundepark del Coll!

Schriftsteller:in Laura Leupi (29) streift in der Kolumne «CU There» eigentlich durch Begegnungszonen in Zürich und schreibt immer freitags über öffentlichen Raum, Zugänglichkeit und Verdrängung. Ein Glück also, gibt es so was wie Begegnungszonen auch in anderen Städten.