Krieg gegen die Ukraine: Die Schweiz als falscher Zwerg
10. Februar 2024: Eine russische Drohne trifft ein Tanklager in der ukrainischen Millionenstadt Charkiw. Ein Grossbrand im Quartier bricht aus, bei dem sieben Menschen ihr Leben verlieren, darunter eine Familie mit drei Kindern. 16. Februar 2024: Die russische Gefängnisverwaltung teilt mit, Alexei Nawalny sei nach einem Spaziergang gestorben. Seit seiner Verhaftung vor über zwei Jahren hat der Oppositionelle die grösste Zeit in Isolationszellen, also unter Folter, verbracht.
Die beiden Nachrichten kurz vor dem zweiten Jahrestag von Russlands Angriff auf die Ukraine machen deutlich: Die Kriegsverbrechen des Regimes von Wladimir Putin dauern fort, die Angriffe treffen kalkuliert die ukrainische Zivilbevölkerung – eine junge Familie etwa, die neben einem Tanklager wohnte. Die Gewalt zielt dabei nicht nur nach aussen, auf den demokratischen Nachbarstaat, sondern auch nach innen, auf die Ausschaltung der letzten Oppositionellen. Woran auch immer Nawalny gestorben ist, seine Haft war nichts anderes als eine langsame Hinrichtung vor den Augen der Weltöffentlichkeit.
Putins Regime ist definitiv in jenem Zustand angekommen, vor dem der russische Autor Wladimir Sorokin in seinem fast schon prophetischen Roman «Der Tag des Opritschniks» von 2006 warnte: In Russland – und in den Gebieten, die Putin in seinen grossrussischen Fantasien für sich reklamiert – regiert die nackte, zügellose, obszöne Gewalt.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski fordert zur Gegenwehr immer verzweifelter weitere Munition. Die Notwendigkeit solcher Lieferungen zeigte zuletzt die russische Einnahme der Kleinstadt Awdijiwka. Der Kriegsverlauf droht zugunsten von Putin zu kippen, der auch noch auf die Rückkehr von Donald Trump hoffen darf – allein mit seiner Kandidatur für das Präsidentenamt treibt er die Republikaner:innen zur Einschränkung der US-Hilfe an.
So dringlich die militärische Unterstützung der Ukraine bleibt, so skeptisch sind die Aufrüstungspläne der Nato-Staaten zu werten, vom «Aufwuchs» der Schweizer Armee ganz zu schweigen: Die Engführung auf eine rein militärische Antwort auf den russischen Autoritarismus führt in ein Kriegsfieber, das an Putins Absichten vorbeideliriert.
Nawalny hat immer wieder darauf hingewiesen: Putins rohe Gewalt hat immer auch zum Ziel, einen gigantischen Diebstahl der Oligarchie zu ermöglichen. Die Spur des Raubzugs führt dabei regelmässig in die Schweiz: Bereits nach wenigen Minuten in seinem Youtube-Film «Ein Schloss für Putin» (2021) thematisiert Nawalny die Ölhandelsfirma Gunvor des früheren Mitbesitzers Gennadi Timtschenko in Genf. Der Multimilliardär soll den Bau von Putins Kitschpalast am Schwarzen Meer wesentlich finanziert haben.
Fünfzig bis sechzig Prozent des russischen Ölhandels liefen vor dem Angriff auf die Ukraine über die Schweiz, Firmen wie Gunvor, Trafigura und Glencore alimentierten Putins Kriegskasse. Nachdem die Schweiz die EU-Sanktionen nachvollzogen hat, dürfte zwar ein grosser Teil des Handels in die Vereinigten Arabischen Emirate abgewandert sein – häufig allerdings zu Tochterfirmen Schweizer Trader.
Allein mit dem Nachvollzug von Sanktionen ist es darum nicht getan. Die NGO Public Eye, die bei dieser Frage zuvorderst Aufklärung leistet, fordert ein Ende der «Selbstverzwergung» der Schweiz. In der Aussenwirtschaft ist sie kein Kleinstaat, sondern eine Grossmacht. Will heissen: Es braucht endlich eine Rohstoffaufsichtsbehörde und ein öffentliches Register der wirtschaftlich Berechtigten von Firmen. Denn nur so können Umgehungen der Sanktionen verhindert, die Oligarchenvermögen beschlagnahmt und der Ukraine übergeben – und so Putins grosser Diebstahl gestoppt werden.
Dass die Schweizer Politik stattdessen lieber darüber streitet, ob sich einzelne Rom:nja allenfalls einen Schutzstatus S für ukrainische Geflüchtete erschwindelt haben könnten – das sagt nicht nur alles zur Selbstverzwergung der Schweiz, sondern auch zur hiesigen Feigheit.