Aufbruch in Ungarn: Letzte Chance

Nr. 33 –

Die Budapest Pride war grösser denn je und hat womöglich die letzten Monate von Viktor Orbáns Herrschaft eingeläutet: linke Perspektiven auf einen historischen Moment.

mehrere Personen sitzen im Aussenbereich des Gemeinschaftszentrum Aurora an einem Tisch
Ende Juni schaute ganz Europa nach Ungarn: Das Gemeinschaftszentrum Aurora ist eine von Budapests linken Oasen. 
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Sich als radikale Linke immer in erster Linie von allen anderen abgrenzen zu wollen, sei ein Luxus, den man sich in Ungarn derzeit nicht mehr leisten könne, sagen Csongor und Anon, die ihre echten Namen nicht in der Zeitung wissen wollen. Über Utopien reden sie kaum. Dafür lässt die Dringlichkeit hier keinen Platz.

Die beiden jungen Anarchist:innen trinken Bier im Innenhof des Gemeinschaftszentrums Aurora in Budapest und sprechen mit einer solchen Ernsthaftigkeit über revolutionäre Politik, dass man ihnen glaubt, dass sie daran glauben. Das Aurora ist eine linke Oase: Eine nette Bar gibt es hier, Ateliers, Büros zivilgesellschaftlicher Basisorganisationen.

In einem der Zimmer sind gerade eine Handvoll Leute dabei, Transparente zu malen. Die Stimmung ist mittelmässig. Die Hälfte der Gruppe besteht aus drei Journalist:innen des holländischen Fernsehens, die ihre Kameras auf die drei Aktivist:innen richten, die sich nicht davon vertreiben liessen. Ganz Europa schaut in diesen Tagen auf Ungarn. Und auch Csongor und Anon reden über die Pride. Noch zwei Tage sind es bis dahin. Csongor ist dieses Jahr zum ersten Mal auch an deren Organisation beteiligt.

Dieses Jahr ist alles anders

Sie seien dem kommerzialisierten Umzug, an dem Unternehmen wie Ikea teilnehmen, immer kritisch gegenübergestanden. Aber dieses Jahr ist alles anders. Klar, auf die EU-Abgeordneten, die sich angekündigt haben, hätten sie keine Lust, sagen sie, aber: «Wir sollten uns nicht davon abgrenzen – der Faschismus blüht auf, wenn seine Gegner:innen nicht zusammenhalten», so Csongor.

Das Kulturzentrum Jurányi im Nordwesten von Budapest ist noch so eine Oase. Es war einst ein Schulhaus, heute ist es eines der Zentren der unabhängigen Theaterszene Ungarns. Rund 300 Vorstellungen werden hier pro Jahr gezeigt, die Schulzimmer sind nun Proberäume und Büros für Kreativschaffende, und Tamás Jászay scheint die meisten Leute, die durch den Innenhof laufen, zu kennen. Jedenfalls grüsst er ständig jemanden.

Da kann noch viel passieren

Voraussichtlich im kommenden April werden in Ungarn die 199 Parlamentarier:innen neu gewählt. Es bleibt dem Ministerpräsidenten also noch viel Zeit, um gegen seinen Kontrahenten Péter Magyar vorzugehen. Die vom Fidesz kontrollierten Medien werden fleissig versuchen, die Opposition zu entzaubern. Schon heute werden unterschiedliche Umfragewerte verbreitet. Aus Regierungssicht ist der Fidesz vorn, unabhängige Institute sehen Magyars Tisza-Partei bei rund 43 Prozent und damit 10 Prozentpunkte vor der Regierungspartei. Im letzten Dezember nahm Viktor Orbáns Partei ausserdem eine Änderung am Wahlrecht vor. Der oppositionell geprägten Hauptstadt Budapest entzog sie zwei Direktmandate zugunsten des rechteren Umlands. Insgesamt werden 106 Mandate direkt vergeben, die übrigen gemäss einem Proporzsystem.

Der 47-Jährige ist einer der renommiertesten Theaterkritiker:innen Ungarns, Hochschuldozent, Essayist und Kurator mehrerer Theaterfestivals. Und er sagt: «Wir befinden uns nun im 16. Jahr unter dem Fidesz, alle stehen am Rand des Zusammenbruchs, es geht jetzt darum, noch durchzuhalten.»

Es ist Freitagnachmittag, ein Tag vor der Pride. Jászay macht noch Witze darüber, womöglich verhaftet zu werden. Die Demonstration war verboten worden, aber irgendwie eben auch nicht: Der Bürgermeister Budapests, Gergely Karácsony, erklärte sie zur kommunalen Veranstaltung, die keiner Bewilligung bedürfe und deshalb legal sei. Das stimme nicht, entgegnete die Regierung, weshalb sie Karácsony mit Haft und den Demonstrant:innen mit Bussen drohte.

Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren will auch Tamás Jászay wieder hingehen. Nicht nur er: «Von zehn Leuten, die ich gefragt habe, haben zehn gesagt, sie würden ebenfalls mitlaufen wollen – obwohl sie noch nie an einer Pride teilgenommen haben.»

Portraitfoto von Tamás Jászay
Im Gegensatz zu vielen anderen Kulturschaffenden hat er das Land nicht verlassen: Theaterkritiker Tamás Jászay.   

Euphorie, Wut, Aufregung

Rund 200 000 Leute laufen am 28. Juni schliesslich mit. Die Demonstration ist überwältigend (siehe WOZ Nr. 27/25). Auch weil die Teilnehmenden so divers sind: jung, alt, fröhlich, wütend, linke Ästhetik und bürgerliche Ernsthaftigkeit erstmaliger Demoteilnehmer:innen; Euphorie, Wut, Aufregung. Es ist, als wären alle da. Als wären wir alle. Langsam schiebt sich die Masse durch die Strassen Budapests, beharrlich drängt sie Viktor Orbáns totalitären Machtanspruch zurück.

Es ist eine herbe Niederlage, eine Demütigung für den Ministerpräsidenten, der sich gern als starken Mann inszeniert. Öffentlichkeitswirksamer hätten die Grenzen seines Einflusses nicht aufgezeigt werden können. Auch angedrohte Repression setzt seine Regierung schliesslich nicht um. Anfang Juli hat sie mitgeteilt, dass sie keine Bussen verhängen werde.

Angeblich weil die Rechtslage aufgrund der vermeintlichen Falschaussagen von Bürgermeister Karácsony schwer verständlich gewesen sei. Dieser wurde Anfang August tatsächlich verhört. Das sei aber nicht besonders schlimm gewesen, liess Karácsony verlauten, der gerade einen kometenhaften Aufstieg zu internationalem Ruhm erlebt. Den Polizist:innen sei das Verhör offensichtlich selbst unangenehm gewesen.

Nach dem Rausch

Am Tag nach dem Umzug, erschöpft vom Rausch des Vortags, treffen sich rund fünfzig Personen im Park auf der Margareteninsel in der Donau, um gemeinsam zu picknicken. Vertreter:innen verschiedener LGBTIQ-Organisationen lassen hier die Pride seit Jahren jeweils gemeinsam ausklingen.

Immer mit dabei war Anna Borgos. Die 51-Jährige ist schon 1997 bei der allerersten Pride in Budapest mitgelaufen. Sie nimmt sich Zeit, setzt sich einige Meter neben der Gruppe ins Gras, spricht leise, ist sichtlich bewegt. «Wir hatten darauf gehofft, dass die Pride gross werden würde», sagt sie. Aber dass derart viele Menschen mitlaufen würden? «In den neunziger Jahren waren wir etwa 200 Leute und sind dem Fluss entlanggelaufen», sagt sie. Jetzt sei das nicht nur die grösste Pride, sondern vielleicht sogar die grösste Demonstration in Ungarn seit der Wende überhaupt gewesen.

Portraitfoto von Anna Borgos
 «Das Beste, was hätte passieren können»: Anna Borgos ist schon 1997 bei der allerersten Pride in Budapest mitgelaufen.   

Aber ist es nicht auch problematisch, dass dieser Umzug vom Antiorbanismus vereinnahmt wurde? «Ich glaube nicht, dass uns dadurch etwas genommen wurde. Im Gegenteil», sagt Borgos. «Das ist das Beste, was hätte passieren können.» Es fühle sich gut an, dass die LGBTIQ-Bewegung am Ursprung dieses Ereignisses stehe, das vielleicht das System Orbán tatsächlich zu erschüttern vermöge.

Es ist ein System, an dessen Ursprünge sich Anna Borgos gut erinnert. Sie war eine junge Aktivistin, als in Ungarn die progressiven nuller Jahre anbrachen. 1999 hat sie die ungarische Lesbenorganisation Labisz mitgegründet. Sie erinnert sich an Aufbruchstimmung, an Hoffnung. Der Fidesz war einst als junge liberale Protestpartei gegründet worden. Ein erstes Mal zum Ministerpräsidenten gewählt wurde Orbán schon 1998, wobei er nach nur einer Amtszeit 2002 in den Wahlen einem Linksbündnis unterlag. Dieses erliess bald ein Gesetz gegen die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung. 2009 führte es, zwei Jahre nach der Schweiz, die eingetragene Partnerschaft ein.

Es sollte eine der letzten Amtshandlungen von Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány bleiben. Im April 2006 war er von der Sozialistischen Partei im Amt bestätigt worden. Im September aber gelangte eine parteiinterne Rede von ihm an die Medien. Er prahlte damit, die Öffentlichkeit belogen zu haben, um die Wahlen zu gewinnen. Und ebnete den Weg für Orbáns neuerlichen Aufstieg an die Macht.

«Der Fidesz organisierte fortan regelmässig rechte Demonstrationen», erzählt Borgos. In diesem Zusammenhang sieht sie auch die zunehmenden Angriffe auf die Pride ab 2007. Die Anerkennung der eingetragenen Partnerschaft 2009 markierte einen letzten Höhepunkt. «Seither wurde es kontinuierlich immer schlimmer.»

2010 wählte Ungarn ein neues Parlament. Zsuzsanna Szelényi, von 1990 bis 1994 einst selbst Abgeordnete des Fidesz, heute scharfe Kritikerin der Partei, schrieb 2019 in ihrem Essay «Die Generation, die die ungarische Demokratie betrogen hat», dass Orbán schon im Vorfeld der Wahl in einer privaten Konversation angekündigt habe: «Wir müssen die Wahlen nur einmal gewinnen, dafür richtig.»

Gemeinsam mit der Demokratischen Volkspartei erhielt der Fidesz 2010 schliesslich 52 Prozent der Stimmen. Im politischen System Ungarns bescherte ihm das eine Mehrheit mit mehr als zwei Dritteln der Parlamentssitze. Mehr als genug, um den antidemokratischen Umbau in Gang zu setzen, der die Leute jetzt zu Hunderttausenden für die «Freiheit» – das Schlagwort ist an der Pride allgegenwärtig – auf die Strasse gehen lässt.

ein revolutionärer Block an der Pride-Demonstration in Budapest am 28. Juni 2025
Es ist, als wären alle da: Ein revolutionärer Block an der Pride-Demonstration in Budapest am 28. Juni 2025.

Zulauf in anarchistischen Strukturen

Es zeige sich hier besonders deutlich, dass es einen wichtigen Raum gebe zwischen der Anarchie und dem Faschismus, sagt Anon, und die Stabilität, die die Liberalen bieten könnten, sei hier in Ungarn für viele überlebenswichtig. Nicht zwischen dem Fidesz und diesem liberalen Establishment zu unterscheiden, das sei bei aller Kritik an Letzterem bloss zynisch. «Vielleicht sollten nicht nur autoritäre Rechte von Ungarn zu lernen versuchen, sondern auch Linke», sagt der Anarchist.

Kulturlinke, alte LGBTIQ-Aktivistinnen, junge Revolutionäre – derzeit würden alle am selben Strang ziehen. Anon und Csongor sprechen von einer neuen Dynamik der Vernetzung, von Zulauf auch in anarchistischen Strukturen. «Wir sind immer noch nur einige Hundert, aber werden seit einigen Monaten schnell mehr.» Gerade junge, queere Leute würden sich vermehrt organisieren.

Schon in vergangenen Jahren habe man auch mit den Pride-Organisator:innen zusammengearbeitet. Sie hätten ihnen für ihre viel kleineren anarchistischen Demonstrationen Megafone und Leuchtwesten zur Verfügung gestellt. Und es brauche solidarische Strukturen. Csongor, selbst nonbinär, beteiligt sich etwa an einer Art Couchsurfing für trans Personen in Gefahr, die kurzfristig Notunterkünfte brauchen. Details und den Namen des Projekts wollen sie nicht in einer Zeitung veröffentlichen, auch in einer aus der Schweiz nicht.

Der Druck auf linke Basisstrukturen ist enorm. In der Vergangenheit wurden mehrere antifaschistische Demonstrationen in Budapest brutal von der Polizei niedergeprügelt. Die Antifa ist ein Feindbild Orbáns. «Wenn wir uns über den Stand der Verhandlungen im Fall Maja T. informieren wollen, müssen wir von Google Artikel aus deutschen Zeitungen übersetzen lassen.» Die linke Aktivist:in aus Jena wird seit über einem Jahr in Ungarn unter unmenschlichen Bedingungen gefangen gehalten und vorgeführt (siehe WOZ Nr. 27/25).

Es sei doch eigentlich seltsam, dass erwachsene Leute derart Angst vor Kritik hätten, sagt Tamás Jászay. Und Angst haben sie auch vor dem unabhängigen Theater, dem er sein Leben gewidmet hat. Dabei übe gutes Theater immer Kritik, sagt Jászay. Er spricht ruhig und bedacht, aber er ist voller Spott, teilweise an der Grenze zum Zynismus.

Und er erklärt, welche Spuren die vielen Jahre des Demokratieabbaus auch in der Kulturszene hinterlassen haben. Vor zwei Jahren kürzte die Fidesz-Regierung die ohnehin schon sehr knappen Subventionen für unabhängiges Theater um vierzig Prozent. In der Vergangenheit seien als Reaktion auf kritische Inszenierungen mehrmals gezielte Budgetkürzungen verhängt worden. «Die Regierung interessiert sich bloss für das Nationale und das Repräsentative. Das Opernhaus wurde gerade für enorm viel Geld renoviert.»

Die Folgen erklärt er anhand eines Beispiels, das «wirklich albern» sei. «Stellen Sie sich vor, Sie leiten ein kleineres Theater, das, so wie fast alle Häuser, auf Subventionen angewiesen ist», sagt Jászay. «Und Sie überlegen sich, ‹Richard III.› von Shakespeare zu zeigen. Sie werden sich das aber zwei- oder dreimal überlegen – einfach, weil es im Stück um einen Diktator geht, der ermordet wird.»

In einem Essay, der letztes Jahr auf Englisch erschienen ist, schreibt er: «Die Kriegsrhetorik, die den Diskurs in Ungarn durchdringt, ekelt mich an, aber die junge Geschichte der unabhängigen Performancekünste in Ungarn gleicht einem langen Krieg.» Viele Projekte und Gruppen seien inzwischen eingegangen, viele stünden heute kurz vor dem Ende. Kulturschaffende haben das Land in Scharen verlassen. Wieso Jászay nicht? «Weil ich dumm bin», sagt er. Und weil ihm die Arbeit mit der ungarischen Sprache zu wichtig sei, um sie zurückzulassen.

Jetzt aber scheine sich etwas grundlegend zu verändern, sagt auch der Theaterkritiker, der selbst nicht in Budapest lebt, sondern in der kleineren Universitätsstadt Szeged im Süden Ungarns. «Es ist spürbar, dass die Regierung immer verzweifelter wird.»

Die Dynamik, die sich rund um die Pride entwickelt hat, hängt auch mit den bevorstehenden Wahlen zusammen. Im nächsten Frühling muss sich Orbán im Amt bestätigen lassen. Und vieles spricht dafür, dass das scheinbar Unmögliche möglich wird – und die Opposition sich durchsetzen könnte. «Gut möglich, dass das die letzte Chance ist, ihn noch abwählen zu können», sagt Jászay.

Aktivist:innen treffen sich am Tag nach der Pride zum Picknick im Park
«In den neunziger Jahren waren wir 200 Leute und sind dem Fluss entlanglaufen»: Am Tag nach der Pride treffen sich die Aktivist:innen jeweils zum Picknick im Park.   

Magyar und die Wahlen

Es ist ausgerechnet ein ehemaliges Fidesz-Mitglied, das den Ministerpräsidenten nun herausfordert. Péter Magyar ist in erster Linie erfolgreich, weil er nicht Orbán ist. Er kritisiert die Korruption, ansonsten ist sein Profil unscharf, und er ist sicher kein Linker. Aber auch deshalb sind seine Erfolgsaussichten gut: Er wird wohl enttäuschte Orbán-Wähler:innen auf seine Seite ziehen können. Die Umfragen sehen die Opposition seit Monaten stabil in Führung (vgl. «Da kann noch viel passieren»).

Er sei aber kein Optimist, sagt Jászay. «Es dauert noch mehrere Monate bis zur Wahl.» Bis dahin würden Orbáns Leute alles versuchen, um Magyar aufzuhalten. «Vielleicht wird zu Weihnachten plötzlich in fast allen Medien des Landes berichtet, dass Magyar systematisch Kleinkinder missbraucht, bevor er sie mit blossen Händen erwürgt.»

Wobei unter einer neuen Regierung mit Magyar an der Spitze der Überlebenskampf der gebeutelten Kulturlandschaft noch nicht gewonnen wäre, sagt Jászay. Wenigstens nicht unmittelbar. «Die Kulturlandschaft ist ein riesiges System, das Orbán geprägt hat und das sich nicht von heute auf morgen wieder ändern lässt.»

Trotzdem ist da plötzlich dieser Hoffnungsschimmer. Auch Anna Borgos glaubt, dass das Ende der Orbán-Ära bald eintreffen könnte. Auch sie glaubt an Péter Magyar, ohne von diesem aalglatten Machtpolitiker besonders begeistert zu sein. «Worauf sollen wir sonst hoffen?», sagt sie. «Er äussert sich kaum je zu LGBTIQ-Themen, aber alles ist besser als Viktor Orbán.»

Zur Pride hat sich Magyar nur ausweichend geäussert, teilgenommen hat er nicht, er war in den Ferien. Dabei sind mehrere Kommentator:innen davon ausgegangen, dass Orbán das Pride-Verbot in erster Linie veranlasst hat, um Magyar dazu zu bringen, zu LGBTIQ-Themen Stellung zu nehmen und so die konservativen Wähler:innen zu vergraulen. Ein Schuss in den Ofen. Magyar bezeichnete Orbán zuletzt als den «König der Pride», weil er Massen wie nie zuvor dafür mobilisiert habe. Von einem wie Magyar, der sich kaum über eine grosse Pride freuen dürfte, eine eher beunruhigende Rhetorik.

Doch Orbán zeigt Schwäche, und seine Gegner:innen riechen Blut. Anna Borgos ist jedenfalls zuversichtlich. Der Kampf um Anerkennung und Gleichstellung finde sowieso nicht nur auf rechtlicher und institutioneller Ebene statt. Und während sich die Regierungspolitik kontinuierlich verschlimmert hat, haben sich grosse Teile der ungarischen Gesellschaft durchaus bewegt. «In vielen sozialen Kreisen Ungarns ist es heute deutlich leichter, sich zu outen, als noch in den neunziger Jahren», sagt Borgos. «Es gibt Vereine, Hilfsangebote, intakte Gemeinschaften, denen man sich anschliessen kann.»

Dass sich die öffentliche Meinung trotz aller Hasspropaganda positiv entwickelt habe, das belegten Umfragen deutlich, sagt Borgos. Obwohl die Rhetorik Orbáns sie als Bürger:innen zweiter Klasse behandle und Homophobie legitimiere – in ihrem Alltag erlebe sie heute nur noch wenig offene Anfeindung, sagt die Aktivistin.