Kost und Logis: Alt und clever
Karin Hoffsten über die Wirkung von Vorurteilen

Das Wort «Ageism» ist zwar Englisch, steht aber so im Duden und ist einfach hässlich. Hässlich ist aber nicht nur das Wort, sondern auch das damit gemeinte Phänomen, die Altersdiskriminierung oder «Diskriminierung aufgrund fortgeschrittenen Alters».
Wie ich einem Text im «Wörterbuch der Schweizer Sozialpolitik» entnehme, waren damit ursprünglich alle Altersgruppen gemeint, die stereotypen Vorurteilen ausgesetzt sind: also auch junge Leute, wenn sie beispielsweise für eine Party keinen Raum mieten können, weil jemand der Meinung ist, alle Teenager seien Rabauken ohne Verantwortungsgefühl.
Inzwischen bezieht sich der Begriff nur noch auf ältere Menschen, die sogenannten Babyboomer:innen und deren Vorläufer:innen, die Generation Silent, die so still zwar auch wieder nicht ist, wenn man ihr in fröhlicher Jassrunde begegnet. Silent heisst sie, weil ihre Vertreter:innen, geboren vor 1945 und sozialisiert in Kriegszeiten, anscheinend nicht gelernt haben, offen ihre Meinung zu äussern.
Ageism kann systemisch und individuell stattfinden. Das überschneidet sich manchmal, wie bei der mir bekannten Frau A., die nach dem Tod ihres Mannes mit 82 Jahren auf Wohnungssuche ging. Kaum nannte sie ihr Alter, wurde ihr bei jeder Bewerbung beschieden, sie sei zu alt für einen Mietvertrag.
Schliesslich fand sie eine Alterswohnung in einer privaten Stiftung. Nach zwei Jahren wurde ihr Mietvertrag alternativlos in einen «Betreuungsvertrag» umgewandelt. Die Monatsmiete stieg damit um 190 Franken, mit der Begründung, das seien Betreuungskosten. Frau A. benötigt aber keine Betreuung.
Sie suchte den leitenden Direktor der Siedlung auf, um sich gegen die Mieterhöhung zu wehren, hatte sich vorbereitet, ihre Argumente notiert. Der Direktor hörte ihr zu, begann aber erst während des Gesprächs, ihre Unterlagen zu suchen, wo er schliesslich auf ihr Geburtsdatum stiess und staunend rief: «Ach, Sie sind ja dann gesegnet!» Offenbar überraschte ihn, dass Frau A. klar und differenziert argumentierte; bei Menschen ihres Jahrgangs setzte er wohl grundsätzlich kognitive Einschränkungen voraus. Sie biss trotzdem auf Granit. Sich mit ihrem Anliegen an die Schlichtungsstelle des Mieter:innenverbands zu wenden, traute sie sich nach ihren Erfahrungen auf dem Wohnungsmarkt nicht. Also zahlt sie jetzt jährlich 2280 Franken zusätzlich für «Betreuung».
Eine negative Wahrnehmung alter Menschen durch ihr Umfeld hat auch eine Wirkung auf deren Selbsteinschätzung. Je älter eine Person wird, desto weniger glaubt sie selbst an ihre kognitive und motorische Leistungsfähigkeit. Wie Frau B., die schon als Teenager ältere Frauen durchgehend für doof hielt und nun mit siebzig frustriert feststellt: Jetzt bin ich selbst so eine. Und die deshalb, wann immer sie Dienstleistungen beansprucht, aufpasst wie ein Häftlimacher, beim Gegenüber nur ja keinen doofen Eindruck zu hinterlassen. Und das strengt an.
Karin Hoffsten empfiehlt allen Berufsgruppen, die mit alten Menschen zu tun haben, sich zwecks Weiterbildung mit dem Artikel von Christian Maggiori im «Wörterbuch der Schweizer Sozialpolitik» zu befassen.