Mieter:innenschutz: Mit Tricks am Volkswillen vorbei

Nr. 44 –

Basel-Stadt hat den strengsten Wohnschutz der Schweiz. Doch das neue Gesetz wird kaum angewendet. Nun kündigt der Mieterverband eine Durchsetzunginitiative an.

Blick auf die Greifengasse in Basel mit Fussgängerzone und Tramschienen
Fünf Jahre Mietrabatt nach Sanierung, dann endet die Kontrollpflicht: Greifengasse in Basel.

An der Leimenstrasse 18 passiert, was eigentlich in Basel nicht mehr passieren darf. Die Eigentümerfirma baut sieben zusätzliche Wohnungen in das Mehrfamilienhaus, indem sie bestehende Wohnungen gegen den Willen der Mieter:innen verkleinert. Solch starke Eingriffe sollten an und für sich nicht mehr möglich sein, seit sich der Kanton vor einem Jahr für das strengste Wohnschutzgesetz der Schweiz entschieden hat – die entsprechende Verordnung ist seit Mai in Kraft. Der Basler Mieter:innenverband hat deshalb Rekurs gegen die Baubewilligung eingelegt. Die Irritation ist beträchtlich: Bewilligen die Behörden am Gesetz vorbei?

Den Schutz­passus für ältere Mieter:innen hat die Regierung gar nicht erst übernommen.

In Basel herrscht nach juristisch geltender Definition Wohnungsnot. Bei einem Leerwohnungsbestand von weniger als 1,5 Prozent sind laut neuem Gesetz grosse Sanierungen und damit verbundene Mietzinserhöhungen sowie Abbrüche und Zweckentfremdungen nur noch sehr beschränkt möglich. Und doch scheint das Gesetz die Investoren nicht sonderlich zu behindern. Am Spalenring hat ein geplanter Abbruch den Mieter:innenverband auf den Plan gerufen; an der Greifengasse hat der Versicherungskonzern Axa eine vermeintliche Gesetzeslücke entdeckt. Wie die «Basler Zeitung» berichtete, plant Axa eine Totalsanierung. Die Miete soll zwar steigen – um das neue Gesetz nicht zu verletzen, erhalten die Mieter:innen aber einen Rabatt über fünf Jahre. Dann endet die gesetzlich verlangte Kontrollpflicht für den Mietzins, und der vermeintliche Rabatt fällt weg.

Sind das alles strittige Einzelfälle, oder hält das angeblich schärfste Wohnschutzgesetz der Schweiz nicht, was es verspricht? Pascal Pfister, SP-Grossrat und Vorstandsmitglied des Mieter:innenverbands, sagt: «Mittlerweile zweifle ich schon, ob das gut kommt.»

Vorwurf Verbandsmobbing

Dabei schienen sich die Interessen der Basler Mieter:innen vergangenen Herbst endgültig durchgesetzt zu haben. Zum zweiten Mal innert kurzer Zeit hatte das Basler Stimmvolk damals zu einem strengen Wohnschutz Ja gesagt. Zuvor war eine Verfassungsinitiative von Regierung und Kantonsparlament verwässert worden. Doch schon am Abstimmungsabend brach der Konflikt zwischen Mieter:innenverband und Regierung wieder aus. Regierungspräsident Beat Jans (SP) erklärte vor laufender Kamera, dass auch die Interessen der Abstimmungsverlierer:innen zu respektieren seien – worauf Beat Leuthardt, damals noch Kogeschäftsleiter des Mieter:innenverbands, verlangte, die Regierung müsse Jans’ Departement das Dossier entziehen.

Mittlerweile nennt sich Leuthardt Senior Consultant des Mieter:innenverbands. Senior Consultant? Auch so eine Geschichte, die illustriert, wie sich der Mieter:innenverband von den Behörden behandelt fühlt. In seiner Leitungsfunktion wäre Leuthardt der Einzug in die tripartite Wohnschutzkommission, die über die Einhaltung des Gesetzes wacht, verwehrt geblieben. Als es darum ging, das Gremium zu besetzen, hat die Regierung Leuthardt und zwei weiteren Vertreterinnen des Mieter:innenverbands den Einsitz verweigert. Die Begründung: Der Einsitz von operativ tätigen Verbandsvertreter:innen verstosse gegen die Kriterien – Kriterien, die allerdings erst nachträglich vorgebracht wurden. «Verbandsmobbing» nennt das Leuthardt. Kein Problem sah die Regierung dafür im Werdegang des formell unabhängigen Präsidenten der Kommission: Rico Maritz war bis vor kurzem Kadermitglied des Baukonzerns Implenia.

Das «Mobbing» geht derweil weiter. Praktisch täglich, sagt Leuthardt, träfen Schreiben der Behörden ein, die dem Mieter:innenverband die Arbeit erschweren würden. Mitte September erliess Andreas Albrecht (LDP), Präsident der Baurekurskommission – die Baustreitigkeiten in erster Instanz zu behandeln hat –, eine Verfügung, die dem Mieter:innenverband untersagt, Mieter:innen in Rekursverfahren zu vertreten. Weil der Verband von seinen Mitgliedern Jahresgebühren verlange, handle es sich bei der Rechtsvertretung um eine bezahlte und damit berufliche Tätigkeit, die nur Anwält:innen wahrnehmen dürften, argumentiert Albrecht – Bauanwalt in der Grosskanzlei Vischer. Der Entscheid bedroht den Mieter:innenverband in seiner Existenz, indem er ihm verbietet, was er seit seiner Gründung 1891 macht.

Regierungsrat Jans in der Kritik

Es sind solche Konflikte, die den Mieter:innenverband beschäftigen, die neue Wohnschutzkommission dagegen gibt bislang kaum Arbeit. Ein einziger Fall hat es auf den Tisch der Kommission geschafft. Alle anderen Baugesuche hat das Bau- und Gastgewerbeinspektorat (BGI) als erste Bewilligungsbehörde in Eigenregie abgewickelt. Oder sie lagern noch im Posteingang der notorisch überlasteten Behörde. Leuthardt zweifelt an den Absichten des BGI: «Diese Behörde versteht es als ihren Auftrag, die Wünsche der Investoren zu erfüllen.» Obwohl im neuen Gesetz davon keine Rede ist, hatte die Regierung verfügt, das BGI sei erste Anlaufstelle. Bei Hausabbrüchen kann die Wohnschutzkommission sogar nur bei der Höhe des künftigen Mietzinses mitreden. Leuthardt sagt: «Auch hier verbiegen die Behörden den Gesetzestext.» Gar nicht erst übernommen hat die Regierung einen Schutzpassus für ältere Mieter:innen. Dieser sei «nicht genügend bestimmt».

Der kritisierte Regierungsrat Jans spielt den Ball an den Mieter:innenverband zurück. Dieser habe es verpasst, einen eigenen Vorschlag zur Ausformulierung der Verordnung einzugeben. Einen Vorschlag eingebracht hat dafür der Hauseigentümerverband. Die jetzige Fassung sei aber vollständig im Interesse der Basler Mieter:innen, versichert Jans: «Wenn man mir zeigen kann, wo wir Mieterinteressen verletzen, biete ich Hand für Änderungen.» Mieter:innenvertreter Leuthard glaubt jedoch nicht mehr, dass auf diesem Weg Verbesserungen möglich sind. Er kündigt im Gespräch mit der WOZ eine Durchsetzungsinitiative an.