Im Angesicht des Grauens

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Filmstill aus «Unter Mangobäumen»: eine Frau füttert kleine Vögel in einem Käfig

Der Titel ist in seiner Beschaulichkeit gar nicht so irreführend, wie es ein Blick auf die Synopsis vermuten liesse. «Unter Mangobäumen» handelt vom Bürgerkrieg in Sri Lanka, einem der brutalsten und längsten gewaltsamen Konflikte der jüngeren Zeit. Er dauerte von 1983 bis 2009, forderte geschätzte 80 000 bis 100 000 Todesopfer und vertrieb eine vielfache Zahl von Menschen in alle Welt. Besonders in der Endphase kam es zu zahlreichen Kriegsverbrechen, die noch längst nicht vollständig aufgearbeitet sind. Der Dokumentarfilm von Damaris Lüthi tritt diesem Grauen mit einer Ruhe entgegen, die distanziert und gleichzeitig hochempathisch ist. Dabei weigert sie sich nachdrücklich, diesen Akt des unvoreingenommenen, geduldigen Zuhörens mittels dramaturgischer Eingriffe zu beschleunigen, um die Kinoerfahrung so angenehmer und kurzweiliger zu gestalten.

Allein in der Schweiz leben heute etwa 50 000 Menschen, die direkt und indirekt vom Konflikt betroffen sind. Dennoch sind hierzulande weder die Geschichte noch die politischen, kulturellen und religiösen Umstände des jahrzehntelangen Bürgerkriegs gut bekannt. Dies zu korrigieren, ist dezidiert nicht die Hauptabsicht von Lüthis Film. Über die Ursprünge des Konflikts wie auch über die Ziele der verschiedenen Parteien erfahren wir nur das Allernötigste: Die Tamil Tigers wollten (mit teils sehr brutalen Mitteln) einen unabhängigen tamilischen Staat im Norden der Insel errichten, wurden schliesslich jedoch von den singhalesischen Regierungstruppen (mit teils sehr brutalen Mitteln) besiegt.

Auch der männliche Blickwinkel, der filmische Aufarbeitungen kriegerischer Konflikte oft dominiert, bleibt für einmal gänzlich aussen vor: Die Regisseurin lässt in ihrem Film ausschliesslich Frauen zu Wort kommen. Manche schildern ihre persönlichen Erlebnisse aus dem Krieg kühl und sachlich, andere emotional und unter Tränen. Sie sind (häufig zwangsrekrutierte) «Täterinnen», sie sind Opfer, und sie sind «unbeteiligte» Zivilistinnen. Doch viele Trennlinien verlieren im Verlauf des Films deutlich an Schärfe.

Wie auf historische «Übersichtlichkeit» verzichtet der Film auch darauf, Haltungen und Positionen der verschiedenen Frauen gegeneinander auszuspielen. Und weil der Film nur Frauen sprechen lässt, werden dabei Themen angesprochen, denen sonst kaum solche Aufmerksamkeit zuteilwird: die psychischen Kosten, die Opfer wie auch Täterinnen tragen; die Zerstörungen, die der Krieg innerhalb von Familien anrichtet; die Unmöglichkeit, selbst über die eigene Biografie bestimmen zu können.

Da ist die ehemalige Soldatin der «Tigers», die in ihrer St. Galler Wohnung erzählt, wie sie vor nicht allzu vielen Jahren noch dazu bereit gewesen wäre, auf eine Zyankalikapsel zu beissen, um den Grausamkeiten zu entgehen, denen namentlich weibliche Kämpferinnen im Fall einer Gefangennahme ausgesetzt sind. Und eine andere Frau, die gerade in einem idyllischen Garten ihre Pflanzen giesst, erinnert sich an ihre Kinder, die ihr der am Ende nutzlose Krieg genommen hat, und spricht den traurigsten Satz aus: «Wir haben in unserem Leben keine Freude gekannt.»

«Unter Mangobäumen». ­ Regie: Damaris Lüthi. In: Solothurn, Konzertsaal, Do, 23. Januar 2025, 20.30 Uhr, und Reithalle, So, 26. Januar 2025, 17.15 Uhr.