Russische Opposition: Für ein Ende des Imperiums
In Berlin versammelten sich am Sonntag russische Regimekritiker:innen zum «Antikriegsmarsch»: Die erste zentrale Aktion einer zersplitterten Diaspora.
«Tod dem Imperium» steht in weissen Lettern auf dem grossen schwarzen Banner, «Die Ukraine jetzt aufrüsten!» auf einem anderen. «Unterstützt den Widerstand gegen den Kreml», daneben die Umrisse einer Person, die einen Brandsatz wirft, so die Botschaft eines dritten Transparents. Porträts von Anarchisten werden in die Höhe gehalten, die aufseiten der Ukraine kämpften und dabei ums Leben kamen.
Zu sehen waren die Slogans im anarchistischen Block einer Demo gegen Russlands Angriffskrieg, die am Sonntag durch Berlins Strassen zog. Zur Kundgebung aufgerufen hatten prominente Exponent:innen der Exilopposition: Julija Nawalnaja, die Frau des vom Regime getöteten Kremlgegners Alexei Nawalny, sowie die Politiker Wladimir Kara-Mursa und Ilja Jaschin. Beide waren in Russland wegen ihrer Antikriegshaltung inhaftiert worden und im Sommer im Rahmen eines Gefangenenaustauschs freigekommen. Insgesamt sprachen die Veranstaltenden von 2000 Teilnehmer:innen.
Bloss Putins Krieg?
Die Demo in Berlin – Europas Hauptstadt russischer Dissident:innen – war die erste zentrale Aktion einer zersplitterten Diaspora. Denn viel mehr als die gemeinsame Herkunft und die Opposition zum Putin-Regime eint die Kritiker:innen nicht, darüber konnten auch die «Einer für alle – alle für einen»-Rufe am Sonntag nicht hinwegtäuschen. Entsprechend bildeten auch die Appelle bloss den kleinsten gemeinsamen Nenner ab: Neben dem Abzug russischer Truppen von ukrainischem Staatsgebiet umfassten die Forderungen auch eine Anklage gegen Wladimir Putin wegen Kriegsverbrechen sowie die Freilassung politischer Gefangener.
Vielen geht das nicht weit genug. Deshalb waren prominente Regimekritiker:innen der Demo ferngeblieben. Andere gingen zwar hin, bekundeten aber ihre Mühe mit den drei selbsternannten Oppositionsführer:innen. Und auch auf Social Media hatte die Veranstaltung im Vorfeld nicht nur für rege Diskussionen über angemessene Parolen und Symbole, sondern auch für harsche Kritik gesorgt.
Die meisten Ukrainer:innen und auch russische Regimegegner:innen beanstanden, dass Jaschin und Nawalnaja die Forderung nach westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine bloss zögerlich unterstützen. Auf Ablehnung stösst auch, dass sie Putin allein die Verantwortung für den Krieg zuweisen, über die kollektive Schuld der russischen Gesellschaft hingegen schweigen. Der ukrainische Botschafter in Berlin etwa hatte die Versammlung in einem Zeitungsartikel als «würde- wie folgenlosen Novemberspaziergang» bezeichnet – und als «PR-Aktion» für das deutsche Publikum.
Kein «schönes Russland der Zukunft»
Die Organisator:innen des anarchistischen Blocks hingegen verteidigten ihre Teilnahme: Sie hätten «die Gelegenheit nutzen wollen», um zu zeigen, «dass sich auch Anarchist:innen dem Regime widersetzen», und um ihre Solidarität mit den Genoss:innen in russischen Gefängnissen und an der ukrainischen Front auszudrücken, schrieben sie in einem Statement.
Dem «Mythos von einem ‹schönen Russland der Zukunft» – so ein beliebter Slogan der liberalen Opposition – erteilten sie eine Absage. «Das Imperium muss dem Erdboden gleichgemacht werden, nur dann wird in den ehemaligen russländischen Gebieten eine andere Welt möglich sein.» Europäische Linke, die «auf die Notwendigkeit des Kampfes gegen den Militarismus» hinwiesen, riefen die Anarchist:innen in Berlin zudem dazu auf, ihre Aufmerksamkeit auf die Lieferungen europäischer Bauteile für russische Waffensysteme zu richten.