Autoritarismus: Der Griff nach der Allmacht

Nr. 14 –

Die rechten Regierungen in Polen und Ungarn wittern im Windschatten der Coronakrise Morgenluft: Budapest verabschiedet skandalöse Notstandsgesetze, in Warschau hält die PiS an den anstehenden Wahlen fest, um ihre Macht zu zementieren.

Der vorliegende Text wird Sie, sofern Sie an der Entwicklung Osteuropas interessiert sind, mit hoher Wahrscheinlichkeit beunruhigen. Er wird damit etwas bewirken, was ungarische Medien künftig nicht mehr tun dürfen. Denn mit der Zweidrittelmehrheit seines Fidesz und der ChristdemokratInnen (KDNP) hat Ministerpräsident Viktor Orban am Montag Notstandsgesetze durchs Parlament gebracht, die die Legislative in eine unbefristete Zwangspause schicken.

Bestimmte Gesetze können nun per Dekret ausser Kraft gesetzt werden. Darüber hinaus sehen die geplanten Regelungen bis zu fünf Jahre Haft für jene vor, die durch öffentliche Aussagen oder Medienberichte dazu beitrügen, «grössere Gruppen von Menschen zu beunruhigen» und «verzerrte Fakten» zu verbreiten.

Eine schwammigere Formulierung und ein machtvolleres Instrument zur Knebelung der KritikerInnen kann es kaum geben – zumal für eine Staatsmacht, die die Gerichte kontrolliert. «Die EU muss Ungarn jetzt mit massivem Druck klarmachen, dass dieses Gesetz in der jetzigen Form völlig inakzeptabel ist. Andernfalls droht auch in anderen EU-Ländern ein unabsehbarer Schaden für den Schutz der Grundrechte und den Kampf gegen die Coronapandemie», schrieb der Geschäftsführer der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen in einem Statement.

Nah am Ausnahmezustand

Doch wer kann, wer will in diesen Tagen etwas gegen Politiker wie Orban tun? In der Pandemie zeigt sich schliesslich der Rückzug ins Nationale, Ausgangsbeschränkungen verhindern möglichen Protest – und die meisten denken ohnehin an anderes. Bis auf Weiteres gilt die abgedroschene, aber aktuell um so virulentere Binsenweisheit: Eine plötzlich einsetzende, die gesamte Gesellschaft erfassende Katastrophe stärkt jene, die an der Macht sind. Das Gros der Menschen schart sich erst einmal um die Regierenden, sofern diese tatsächlich oder scheinbar entschieden agieren – auch wenn sie nicht nur das Wohl der BürgerInnen im Auge haben.

So will in Polen – das in der Coronakrise bisher über 2000 Infizierte und 31 Todesfälle zu beklagen hat – die regierende rechtsnationale Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nach der vollen Macht greifen. Paradoxerweise zeigt sich dies nicht daran, dass sie rechtskonforme Wahlen verweigert, sondern dass sie im Gegenteil an einem bevorstehendem Votum festhält. Am 10. Mai steht die Wahl des Staatspräsidenten an; der amtierende und von der PiS unterstützte Andrzej Duda kann auf einen Sieg hoffen.

Kein Wunder: Er ist der Einzige, der einen tatsächlichen Wahlkampf führt. Und er kann sich als Krisenmanager, Kümmerer und Verkünder umfassender Hilfsprogramme in Szene setzen. Dudas wichtigste Konkurrentin, Malgorzata Kidawa-Blonska von der liberalen Bürgerplattform (PO), hat deshalb am Wochenende ihre Kampagne ausgesetzt und ruft zum Wahlboykott auf. Andere KandidatInnen, darunter auch der linksliberale Robert Biedron, boykottieren die Wahl bisher nicht, wollen aber ebenfalls eine Verschiebung. Mehr als drei Viertel der BürgerInnen sind für eine Verlegung der Wahl, auch wegen der Ansteckungsgefahr für die rund 300 000 WahlhelferInnen und die Millionen von WählerInnen. Inzwischen äussern auch erste PiS-PolitikerInnen öffentlich Bedenken.

Notwendig wäre dazu allerdings die Ausrufung des in der Verfassung vorgesehenen Katastrophenzustands, der eine automatische Wahlverschiebung bedeuten würde – was die Regierung partout nicht will. Faktisch kommen die von der Regierung beschlossenen Massnahmen, Einschränkungen und Befugnisse für die Exekutive dem Ausnahmezustand sehr nahe. Sie sind jedoch zeitlich unbefristet, was aus Sicht vieler JuristInnen gegen die Verfassung verstösst, die für solche Massnahmen eine klare zeitliche Frist vorsieht. Das Forum der Zusammenarbeit der Richter stellte jüngst entsprechend fest: Die bereits eingeführten Beschränkungen von Rechten und Freiheiten zeigten, dass «wir es zweifellos mit einem Katastrophenzustand zu tun haben».

So regiert die PiS faktisch wie im Ausnahmezustand, vermeidet dabei aber Entschädigungszahlungen an Unternehmen und ArbeiterInnen, die die Verfassung für solche Fälle vorsieht. «Wer über den Ausnahmezustand entscheidet, ist souverän. Wer über den Ausnahmezustand entscheidet, ohne den Ausnahmezustand offiziell zu verkünden, ist noch souveräner, er ist geradezu unerhört souverän», schreibt der Theatermacher Jan Klata in einem Zeitungsbeitrag.

Die Opposition soll schuld sein

PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski strebt seit jeher an, in Warschau ein zweites Budapest zu etablieren. Die Wahl Dudas würde die Macht der PiS für weitere dreieinhalb Jahre zementieren – in einer Zeit der unabsehbaren Krise, in der Staaten wie Polen oder Ungarn aufgrund ihrer geringeren finanziellen Schlagkraft noch weitaus schlimmer betroffen sein werden als Deutschland oder die Schweiz.

Seit ihrer jeweiligen Machtübernahme – des Fidesz 2010, der PiS 2015 – haben Orban und Kaczynski die Mechanismen der liberalen Demokratien ihrer Länder in einen illiberalen Modus versetzt: Gerichte sind in ihrer Unabhängigkeit massiv geschwächt, staatliche Medien gekapert, staatliche Unternehmen mit eigenem Personal besetzt worden.

Nun sehen offenbar beide die Chance für eine weitere Konsolidierung ihrer Macht – koste es, was es wolle. «Wir haben es in Polen und Ungarn mit autoritären Populisten zu tun und leider auch mit einer sehr schwachen Opposition», sagt der polnische Publizist Jacek Zakowski. «Für Polen gilt: Ob die Wahlen nun im Mai stattfinden oder später, könnte sich als zweitrangig erweisen – die PiS verfügt ohnehin über Mittel, um diese Wahlen zu fälschen.»

Kurzfristig sieht Zakowski im Zuge der Coronapandemie zwar in beiden Ländern – aber nicht nur dort – eine Entdemokratisierung kommen. «Langfristig aber werden diese Regierungen nicht überleben, weil sie den ökonomischen Herausforderungen nicht gewachsen sind», so der Autor.

Derweil versuchen die regierenden Parteien beider Länder, jegliche unmoralischen Absichten von sich zu weisen – und die Gegenseite der Sabotage zu bezichtigen. Als die Opposition in Ungarn vor einer Woche die Zustimmung zum zeitlich unbegrenzten Ausnahmezustand verweigerte, warf Fidesz-Politiker Gergely Gulyas ihr vor, sie «feure den Coronavirus an», um die ganze Situation zu verschlimmern und die Macht zu übernehmen.

In Polen indes verzögerten die Oppositionsparteien über die von ihr dominierte zweite Parlamentskammer (Senat) ein von der PiS-Mehrheit in der grossen Kammer beschlossenes umstrittenes Wahländerungsgesetz und brachten eigene Vorschläge für den finanziellen Antikrisenschirm ein. Der staatliche Infokanal titelte anschliessend: «Reiner Populismus, das wird die Gesetzgebung verstopfen». Sprich: Die Opposition ist schuld – ein klassisches Manöver, um von den eigenen Vergehen abzulenken.