Rechte Esoterik: Die Schulen der Neuen Welt

Nr. 20 –

Seit der Pandemie träumen Coronaleugner:innen von einem spirituellen Zeitalter. Der Wissenschaft stehen sie skeptisch bis feindlich gegenüber. Verdeckte Recherchen zeigen, was droht, wenn diese Bewegung Schulen gründet.

ein Kind sitzt in einer Blase mit Tieren und Pflanzen, drum herum sind Symbole der Regelschule, des Staats und der Industrie platziert
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Als ich Fabian frage, wie alles angefangen habe mit den Verschwörungstheorien, erzählt er einen Traum, den er als Kind oft geträumt habe: «Da ist dieser finstere Mann, der ein Rehkitz im Arm hält und ihm plötzlich die Kehle durchschneidet.» Dann sei jeweils die Mutter des Kitzes aufgetaucht. «Ich wollte auf sie zugehen. Doch plötzlich ist zwischen uns ein reissender Fluss – und hinter mir eine Menschenmenge, die schreit, dass ich dableiben soll. Aber ich kämpfe mich immer weiter durch den Fluss.»

Auf die Frage, was er damit sagen wolle, antwortet Fabian, der eigentlich anders heisst: «Der Traum zeigt, dass ich schon immer so war. Ich schwimme gegen den Strom.»

Fabian, mit dem ich ein paar Monate in einem alten Bauernhaus auf dem Land wohnte, wirkte zunächst wie der klassische Ökoalternative: Er trägt Wolljacken, meditiert, isst vegetarisch, transportiert seine Kinder im Fahrradanhänger. Doch bald zeigte sich, was mit der Coronapandemie noch einmal deutlicher geworden ist: Hinter ökoalternativen Fassaden lauern nicht selten rechtsesoterische Abgründe. Neben vielen Personen aus dem rechten Spektrum lehnten auch Teile des alternativen Milieus mit Hang zu Yoga, Meditation oder Alternativmedizin solidarische Massnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus ab. Nicht wenige radikalisierten sich, weil sie die Massnahmen als narzisstische Kränkung erlebten – als etwas, das sie zu Normalsterblichen degradiert, die sich einreihen sollen.

Mit zwanzig reiste Fabian nach Indien, wo er erste ausserkörperliche Erfahrungen gemacht haben will. Seither ist er Anhänger des Hindugotts Krishna. Heute glaubt Fabian auch, «Eliten» hätten das Coronavirus erfunden, um die Menschheit kleinzuhalten. Er glaubt an die rechte Verschwörungstheorie des «Great Reset», des grossen Bevölkerungsaustauschs. Dass die US-Raumfahrtbehörde Nasa eine satanistische Organisation und die Welt eine Scheibe sei, umgeben von einem Kranz aus Eis. In der Küche liess er eines Tages einen «Ausweis» von Trivium United liegen, einer Organisation von Staatsverweiger:innen.

Das alles bräuchte einen wenig zu kümmern, würde Fabian sein schulpflichtiges Kind nicht auf eine jener Alternativschulen schicken, die seit der Pandemie im Dunstkreis der Post-Corona-Szene entstehen. Nach aussen beziehen sich die wenigsten dieser Projekte offensichtlich auf rechte Esoterik, Verschwörungstheorien oder Staatsverweigerung – Beispiele dafür sind der Campus Vivere in Rikon oder der «Lernraum zum Eintauchen» in Uznach (siehe WOZ Nr. 34/22). Ähnlich wie klassische Reformschulen propagieren sie primär «freies Lernen», «Potenzialentfaltung» und Naturnähe. Doch welche Ideen stecken hinter diesem Vokabular?

Illustration: ein Kind hüpft in eine Blase mit esoterischen Symbolen, drumherum posieren Alltags-Monster

Glücksschule, Anastasia, Neue Erde

Wer das verstehen will, muss sich zuerst mit den ideologischen Impulsgeber:innen solcher Schulen beschäftigen. Seit der Pandemie sind in der Schweiz zahlreiche Foren, Youtube-Kanäle und Telegram-Chats entstanden, wo sich Massnahmenkritiker:innen über Homeschoolinggruppen und Alternativschulen austauschen. Aktiv sind neben Gruppen wie der «Graswurzle»-Bewegung oder den Urig-Vereinen auch esoterische Bildungsaktivist:innen, deren Ideen in der coronaskeptischen Szene auf Anklang stossen. Diese «Schulinfluencer:innen» vereint ein gemeinsamer Nenner: Sie wähnen sich an der Schwelle zu einem spirituellen Zeitalter, einer «neuen Erde».

So auch der «Bewusstseinscoach» Daniel Hess, der bei einem Treffen im Hotel Radisson in Luzern freimütig seine Thesen ausbreitet – um später alle Zitate zurückzuziehen, weil er sich «ausgerechnet von der WOZ» falsch dargestellt fühlt. Er sei schliesslich schon immer ein Linker gewesen.

Hess gibt Kurse mit Titeln wie «Kraftvoll verankert im Leuchtturm-Bewusstsein» oder «Aktivierung der Chakren und Drüsen und energetische Neuausrichtung bis auf die Zellen». Seit über zehn Jahren versucht der einstige Berufsschullehrer, mit seinem Projekt «Glücksschule» zudem einen Schulwandel nach seinen Vorstellungen voranzutreiben. Er hält Vorträge, organisiert Kongresse und Vernetzungstreffen. Seine Vision klingt flauschig: Die «Glücksschulen» beschreibt er als «Oasen» frei spielender und intrinsisch motivierter Kinder.

Hess, nach dessen Weltverständnis alles mit allem verbunden ist, will allerdings weit mehr als das etwa von Montessori-Schulen bekannte selbstständige Lernen: Kinder sollen vielmehr zu einem spirituellen Bewusstsein erzogen werden, damit sie die «Neue Welt» erschaffen können. In Videos verbreitet er das pseudowissenschaftliche Konzept kollektiver Bewusstseinsfelder, die aktiviert würden, wenn sich jeder Mensch mit einer Art göttlichem Urkern und damit auch mit allem um sich herum verbinde.

Esoteriker:innen wie Hess wollen die «Neue Welt» nicht durch ein Rütteln an realen Machtverhältnissen, sondern mittels spiritueller Selbstoptimierung bauen. Ihren eigenen Schulen kommt dabei die Aufgabe zu, Kinder nicht durch zu viel Verstandesbildung von ihrem inneren Wesenskern zu trennen. Oft spricht Hess davon, dass wir alle unsere nicht näher benannten Traumata überwinden müssten, um die «Trennungsrealität» zu überwinden und in eine «Ganzheit» zu kommen.

Sosehr sich Hess als Linker begreift – seine Thesen sind überaus anschlussfähig an rechtsesoterische und verschwörungsaffine Szenen. In radikalisierter Form sind sie auch beim «Manifest der Neuen Erde» zu finden, dem im deutschen Sprachraum derzeit wohl grössten rechtsesoterischen Verkaufsschlager. 2020 von der Österreicherin Catharina Roland und der Westschweizerin Coco Tache ins Leben gerufen, fungiert dieses Manifest als geistiges Dach für verschiedenste rechtsesoterische Strömungen und Heilsversprechen.

Die Bewegung propagiert mit dem Manifest Konzepte, die auch in der linksökologischen Szene Zustimmung finden: ökologischen Landbau, nachhaltige Kreisläufe, weniger Konsum. Gleichzeitig ist sie zutiefst reaktionär und wissenschaftsfeindlich. Man will zurück zu einem imaginierten Urzustand: traditionelle Dorfgemeinschaften, tradierte Rollenbilder, Volkstänze. Empirische Wissenschaften sollen durch pseudowissenschaftliche Konzepte, Demokratien durch einen Weisenrat ersetzt werden.

Der Österreicher und selbsternannte «Zauberkünstler» und Lerncoach Ricardo Leppe ist einer dieser «Weisen» – und zugleich Anhänger der völkischen und antisemitischen Siedlungsbewegung Anastasia (siehe WOZ Nr. 43/16), die personell und ideell eng mit dem «Manifest der Neuen Erde» verbunden ist. Die beiden Bewegungen eint auch, dass sie die Gründung von «Lernorten» als zentrale Pfeiler und «impulsgebende Zentren» für die «Neue Welt» sehen, wo Kinder etwa das Konzept der sogenannten Heiligen Geometrie «als Grundbaustein der Materie und auch der Biologie und Physik […]» lernen.

Schutz vor den «Welteliten»

«Happy Anita», mit bürgerlichem Namen Anita Gossow, ist schweizweit eine der aktivsten Post-Corona-Schulinfluencer:innen. Sie bezeichnet sich als «Botschafterin der Neuen Erde» und tritt in der Schweiz als Vertreterin von Ricardo Leppe auf. So betreibt sie auch den Schweizer Telegram-Chat der von Leppe gegründeten Bewegung «Wissen schafft Freiheit», mit der dieser Lernorte der «Neuen Zeit» im gesamten deutschsprachigen Raum aufzubauen versucht.

Auf Anfrage behauptet Gossow, sie habe schon lange nichts mehr mit Leppe zu tun und könne mit allen ihr gestellten Fragen nichts anfangen. Auch Anna Martina Makiol, die den Kanal «Bildungsforum Schweiz» betreibt, sich als Anastasia-Anhängerin seit Jahren für das nach dem russischen Pädagogen Michail Petrowitsch Schetinin (1944–2019) benannte Schetinin-Bildungskonzept der Bewegung einsetzt und ebenfalls mit dem «Manifest der Neuen Erde» verbunden ist, will nicht mit der WOZ reden.

Die Idee, dass Kinder vor Traumata bewahrt und zu einem neuen Bewusstsein erzogen werden müssten, um die «Neue Welt» erschaffen zu können, ist bei Anastasia wie auch beim Manifest zentral. So predigt der Anastasia-Anhänger Raik Garve, der auch im Umfeld des Manifests auftritt, eine Art Natürlichkeitsfetischismus: Man müsse Kinder vor Spitalgeburten, Impfungen, einer nach seinem Massstab unzureichenden Mutterbindung und den «Systemschulen» retten, damit sie ihr volles Potenzial entfalten könnten.

Spätestens bei Garve wird klar, wie nah verwandt der Irrationalismus der Esoterik und der Glaube an klassische Verschwörungstheorien sind: Der selbsternannte «Truther» glaubt, dass «geheime Welteliten» Kinder über die erwähnten Mittel der Potenzialbeschneidung bewusst kleinhielten. Erziehe man sie von der «natürlichen» Geburt an alternativ, seien sie nicht mehr kontrollier- und manipulierbar. Nach dieser Logik werden eigene Schulen zu Widerstandshorten – mit dem Ziel, die nächste Generation frühzeitig dem «System» zu entziehen.

Sogenannte Kulturoasen

Der Lernort Langrüti in Wädenswil liegt mitten in einer sanften Hügellandschaft über dem Zürichsee. Die Leitung hat widerwillig einem Besuch zugestimmt. Nun sitzt der Lehrer Moritz Oehrli auf einem Kinderstuhl im lichtdurchfluteten Schulzimmer und sagt: «Ich bin Christ, ein Nachfolger Jesu.» Mit Esoterik habe er nichts am Hut.

Der Lernort ist aus dem Zusammenschluss mehrerer Homeschoolingeltern entstanden. Auf dem Telegram-Chat des Vereins kann man zurückverfolgen, wie zumindest ein Teil der Gruppe um die «Energetikerin» Marisa Saladin, die heute im Vereinsvorstand sitzt, in der Pandemie rechts abgedriftet ist. Es kursieren Videos und Veranstaltungen bekannter Rechtsesoteriker:innen und Post-Corona-Schulinfluencer:innen – Glücksschule, Happy Anita, Leppe und Garve inklusive. Einzelne im Chat markieren ihren Namen mit einem Doppelpunkt, dem Erkennungszeichen von Staatsverweiger:innen, die sich so als «Mensch» ausweisen wollen – weil sie glauben, dass das System nur über das Konstrukt der Person Zugriff auf sie habe.

Heute nennt sich der Verein, der auch einen Spielraum betreibt und Kurse veranstaltet, «Kulturoase» und schreibt dazu: «Kulturoasen sind Orte, eine Region, ein Leben miteinander, welches wir unseren Enkelkindern zukünftig anbieten können.» Hinter dem Konzept steht Uwe Burka. Der Anthroposoph und einstige Entwicklungshelfer ist Mitbegründer der massnahmenkritischen Bewegung Freunde der Verfassung – und vor allem: Mitglied des Weisenrats der «Neuen Erde». Er verharmlost den Einfluss von CO₂ auf das Klima und glaubt ans Konzept der «freien Energie».

Der Lernort Langrüti wurde 2024 vom Kanton Zürich als Privatschule bewilligt. Unterrichtet werden heute gut zwanzig Kinder vom Kindergarten bis zur Oberstufe. Das Klassenzimmer wirkt unverdächtig: Die Regale sind gefüllt mit klassischem Schulmaterial und Lernspielen zu Sprachen und Mathematik, irgendwo steht ein Modell des menschlichen Körpers im Querschnitt.

Oehri sagt, man lasse keine weltanschaulichen Überzeugungen in den Unterricht einfliessen. Ohnehin hätten Eltern und Lehrer:innen unterschiedliche Überzeugungen. «Der gemeinsame Nenner ist, dass man sich ein einfacheres, entschleunigtes Leben wünscht.» Der Lehrer beharrt darauf, dass der Lernort «neutral, schulisch, wissenschaftlich» unterrichte, räumt aber ein: «Falls zu einem Thema eine Debatte entsteht, kann schon mal erwähnt werden, dass es noch andere Meinungen gibt.» Schliesslich wolle man die Kinder zu eigenständigem Denken erziehen. Als Christ laute sein Motto: «Prüfet alles» – bei Corona habe er es ja auch etwas anders als der Mainstream gesehen.

Wie viel Ehrlichkeit?

Julia Sulzmann von der Sektenfachstelle Relinfo, die die Post-Corona-Schulbewegung beobachtet, sagt, wie radikal eine Schule am Ende sei, hänge von vielen Faktoren ab: «Ganz entscheidend ist, wen man anzieht. Je weniger radikal die Eltern sind, desto mehr können sich die Dogmen auch aufweichen.»

Doch immer bleibt die Frage: Wie ehrlich kommunizieren Schulen, die sich auf dem Weg in die «Neue Welt» wähnen, nach aussen? Anruf bei einer Privatschule in der Nähe von Zürich, die sich in einem der einschlägigen Chats als Schule der «Neuen Zeit» anpreist. Nachdem die Schule die Fragen der WOZ nicht beantworten wollte, gibt sich die Journalistin diesmal als interessierte Mutter aus. Und so erzählt der Schulleiter – ein Männercoach, der «Raunächte» veranstaltet, in denen Männer ihre «Urkraft» entdecken und ihre verletzte Männlichkeit heilen sollen – freiheraus, dass die Ablehnung der Coronamassnahmen der Antrieb für den Aufbau der Schule gewesen sei. Er habe sich damals mit weiteren Eltern vernetzt, die ihre Kinder aus der Regelschule genommen hätten. Dabei sei es auch zu Konflikten gekommen: «Corona war der gemeinsame Feind, der uns verband – dann aber mussten wir entscheiden, was genau wir aufbauen wollen. All diese Visionen einer neuen Welt, die ganz anders ist als die alte – aber bei sich selber hinschauen, war dann doch nicht so leicht.»

Die Schweiz hat einen vergleichsweise äusserst liberalen Umgang mit alternativen Bildungsangeboten: Homeschooling wird in vielen Kantonen ohne viele Auflagen ermöglicht. Kantone wie Zürich, Appenzell Ausserrhoden, Bern oder Schwyz kontrollieren ausserdem Privatschulen, die sich zum Lehrplan 21 bekennen, in der Regel nur durch angekündigte Schulbesuche.

Die Zürcher Privatschule hat dem Kanton ein zwölfseitiges Konzept vorgelegt, in dem von achtsamer Lernbegleitung und projektorientiertem Unterricht die Rede ist. Der Männercoach sagt am Telefon: Gegen aussen sei man einfach eine innovative Schule. «Aber jemand wie Sie merkt natürlich, dass da mehr darunterliegt.» Dann erklärt er der angeblichen Mutter, wie seine Schule den Bildungsauftrag umsetzt: Zwar werde auch klassischer Stoff vermittelt, aber der Lehrplan 21 stehe nicht im Vordergrund. «Kinder sind vor allem im Wachsen unterversorgt, da investieren wir ganz stark.» Zentral sei ein «grosses Gefäss» jeden Mittwochmorgen, wo man sich mit Persönlichkeitsentwicklung beschäftige – mit «Magic Experience», «Traumasensibilität» und «Human Design». Letzteres ist ein esoterisches Konzept, das besagt, jeder Mensch komme mit einem energetischen Abdruck zur Welt, der sich anhand des Geburtsdatums errechnen lasse. Das alles posaune man nicht gross raus. «Sonst heisst es sofort, wir seien eine neofaschistische Schule.»

Sektenexpertin Sulzmann sagt: «Diese Haltung, dass Schulwissen zwar nicht verboten ist, aber nicht Priorität hat, ist eine uralte Geschichte, die wir von ultrakonservativen Christen kennen.» Bei Anhänger:innen der Post-Corona-Bewegung bestehe die Gefahr, «dass sie selbst nicht sehen, wie weit sie sich schon abgekapselt haben». Man nehme sich als apolitisch wahr. Spiritualität werde als Common Sense betrachtet. «Die Kinder drohen in diesem geschlossenen Weltbild aufzuwachsen.»

Auf den Kanälen der Post-Corona-Szene sind etwa dreissig Schulen präsent; nicht alle sind eindeutig dem rechtsesoterischen Spektrum zuzuordnen. So finden sich auch etablierte Reformschulen etwa aus dem Montessori-Spektrum darunter. Bei mindestens der Hälfte der Schulen jedoch handelt es sich um Neugründungen, die sich konfus auf verschiedene pädagogische Konzepte berufen, sich als «Lernorte» bezeichnen – oder direkt als Schulen der «Neuen Zeit». Viele setzen auf ein «bindungsbasiertes» Modell, mit dem Kinder teils zu Hause unterrichtet werden. Oft berufen sie sich auf den kanadischen Entwicklungspsychologen Gordon Neufeld, der behauptet, dass gleichaltrige Kinder in einer Peergroup ihren Alters­genoss:innen schaden und sie sogar zu Amokläufen animieren oder in den Suizid treiben könnten. Er führt das auf die frühkindliche Traumatisierung, nicht bei der Mutter zu sein, zurück.

Eine weitere Ikone in dieser Schulszene ist der «Hirnforscher» Gerald Hüther, der sich in den Medien erfolgreich als Bildungsrevolutionär inszeniert und seit Corona auch im Dunstkreis der «Neuen Erde» auftritt. Der Papst der «Potenzialentfaltung» ist zwar tatsächlich mit der in der Hirnforschung renommierten Universität Göttingen verbunden, jedoch nicht am entsprechenden Institut, sondern als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der universitären Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Wie Leppe kommt er bei der Szene an, weil er geradezu magische Lernerfolge verspricht – und dabei die Idee bedient, dass Kinder durch ihre Geburt mit quasi göttlichen Fähigkeiten ausgestattet seien, die nur geweckt werden müssten.

Klimaleugnung, Staatsverweigerung

Zwei weitere Privatschulen, die hier aufgrund der verdeckten Recherche ebenfalls anonymisiert sind (beide haben der WOZ mit rechtlichen Schritten gedroht, sollten sie im Text vorkommen), machen noch deutlicher, was droht, wenn Post-Corona-Schulen zugelassen werden. Beide Schulen – die eine in der Innerschweiz, die andere im Kanton Bern – lassen kritische Fragen der Journalistin unbeantwortet, laden die angebliche Mutter, die ihre Kinder aus der «Systemschule» holen will, jedoch gleich zu einem Treffen ein.

In Bern antworten die Schulgründer:innen auf die Frage der Mutter, ob sie auch fänden, dass man Kinder so erziehen müsse, dass sie nicht mehr so leicht manipulierbar seien: «Das ist das, was uns antreibt, auch wenn wir es nicht an die grosse Glocke hängen.» Um die Verbindung zur geistigen Welt zu fördern, arbeite man mit vielen Leuten zusammen, die «hellsichtig und hellspürig» seien. Die Gründer:innen verraten auch, dass sie ihr Projekt als Teil einer dem rechtsesoterischen Spektrum zuzuordnenden Siedlungsbewegung betrachten – weshalb man eben nicht nur Schule, sondern auch Experimentierfeld sei.

Aus dem weiteren Gespräch wird deutlich, welche Inhalte zuerst zensiert zu werden drohen, wenn Schulen sich als Schutzräume begreifen gegenüber einem «System», das nach ihrem Verständnis die Wissenschaften als Machtmittel einsetzt. Die Übergriffigkeiten hätten ja schon vor Corona angefangen, sagt einer der Gründer:innen: «Beim Klima.» Es sei unhaltbar, «dass nur ein Narrativ in die Schule getragen» werde. Auch zum Thema Geschlechter hat man eine klare Haltung: «Aus Buben werden Männer, aus Mädchen Frauen.» Dafür bräuchten sie eben auch stabile Vorbilder. «Wir arbeiten mit Initiationsriten aus der Native-Tradition und schaffen Gefässe, wo sich Mädchen der Mädchen- und Jungen der Jungenarbeit widmen können.» Im Übrigen jedoch, bedauern die beiden, mache man beim Schulstoff noch nicht sehr viel anders als in der Regelschule, «dabei wäre ja gerade in den Naturwissenschaften vieles möglich, aber wir halten uns noch zurück, denn dazu braucht es auch die Bereitschaft der Eltern».

Weit weniger zurückhaltend ist man da in der Innerschweizer Schule, die klar dem Milieu der Staatsverweiger:innen zuzuordnen ist. Durch die frisch renovierten Räume führt ein aufgekratzter Schulleiter. Irgendwann sagt er: «Mathe und Deutsch musst du natürlich können, damit du nicht verarscht wirst.» Aber man sei hier total frei. «Du musst einfach deine Rechte kennen. Gegen aussen musst du natürlich sagen, dass du dich an den Lehrplan 21 hältst, aber der gilt ja eigentlich sowieso nicht, weil ihn nicht die ganze Schweiz angenommen hat.»

Die Kinder sind an diesem Morgen auf einem Ausflug; auch hier wird freier und naturnaher Unterricht gepredigt, Ricardo Leppe war schon mehrfach zu Besuch. Der Schulleiter zeigt der angeblichen Mutter Bilder von Waldübernachtungen, Lagerfeuern, Höhlentouren, selbstgeschnitzten Bänken. Der Ort ist ein Beispiel dafür, wie sich während der Pandemie einerseits Esoteriker:innen in die Verschwörungsecke radikalisierten, andererseits aber auch rechte Verschwörungstheoretiker:innen dem «Alternativ»-Milieu annäherten – hin zum neuen Dreiklang aus Esoterik, Verschwörungstheorien und Staatsverweigerung.

Der Schulgründer sagt, Kinder müssten in erster Linie lernen, selbst zu recherchieren. «Wir zeigen ihnen etwa, wie sie Geld für sich arbeiten lassen können, statt für das Geld zu arbeiten.» Auch Geschichte werde alternativ unterrichtet. «Eher so: Wie könnte es wirklich gewesen sein?» Nur schon der Bundesbrief könne ja gar nicht aus dem Jahr 1291 stammen. «Weil eigentlich eine andere Zahl draufsteht.»

Das Kind von Fabian, dem Mieter im Bauernhaus, geht auf die 2023 im Appenzellerland gegründete «Gwunder»-Schule. Auch diese hat ihr Projekt auf einschlägigen Kanälen beworben, einmal mit dem Zusatz «kein Maskenzwang», bezieht sich in ihrem Konzept auf Leppe und Neufeld – distanziert sich gegenüber der Journalistin nun aber vehement von dieser Szene. Auch einen Besuch der angeblichen Mutter lehnt die Schule ab und schreibt: Man verfolge ein unabhängiges Konzept. «Wir stehen in keinerlei Zusammenhang mit den von dir benannten Ansätzen und Personen.»

Fabian, dessen Kind zwei Tage die Woche ohne viel Unterricht von ihm zu Hause betreut wird, sagt, es gehe ihm darum, dass seine Kinder weniger «mit der gängigen Lehrmeinung» konfrontiert würden. Zwar lernten sie in der «Gwunder»-Schule auch die Runderde kennen. Im Allgemeinen aber überlasse man es mehr den Kindern, was sie glaubten. «Sie werden nicht schon acht Stunden gefügig ins System gepresst.»

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Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds des Fördervereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten der WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden der WOZ-Leser:innen.

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