USA und Venezuela: Mit dem Speer gegen ein Fantasiekartell
Präsident Trumps Krieg gegen angebliche Drogenmafias ist so sinnlos, dass er nur ein Vorwand sein kann.
Es ist der grösste Aufmarsch der US-Streitkräfte in Lateinamerika seit der Invasion in Panama vom Dezember 1989. Am vergangenen Wochenende erreichte die USS Gerald R. Ford, der grösste und modernste Flugzeugträger der US-Kriegsmarine, die Gewässer vor der Küste Venezuelas. Ein halbes Dutzend weitere Kriegsschiffe wurde schon vor Wochen in die Karibik verlegt. Dazu kommen Kampfflugzeuge, die in Puerto Rico stationiert wurden, und gut 15 000 Soldat:innen. US-Verteidigungsminister Pete Hegseth gab der Operation Anfang dieser Woche einen Namen: Southern Spear, südlicher Speer. Das verlautbarte Ziel: «Die Narkoterroristen aus unserer Hemisphäre vertreiben.» Die Begründung: «Die westliche Hemisphäre ist Amerikas Nachbarschaft – und wir werden sie beschützen.» Mit «westlicher Hemisphäre» meint Hegseth Amerika, mit «Amerika» die USA. Anders gesagt: Er versteht die USA als dominante Schutzmacht des Kontinents, alles andere ist für ihn ein Protektorat. Hegseth steht damit für eine Neuauflage der sogenannten Monroe-Doktrin von 1823, mit der die neokoloniale Unterwerfung Lateinamerikas durch die USA begann.
Angriffe auf Fischer
In den vergangenen Wochen hatten US-Flugzeuge in der Karibik und im östlichen Pazifik mehr als zwanzig Boote versenkt. Mehr als achtzig Menschen wurden dabei getötet. Es habe sich um Drogentransporte gehandelt, behauptete US-Präsident Donald Trump. Beweise gab es nie. Die Familie eines getöteten kolumbianischen Fischers klagt inzwischen gegen die US-Regierung, Kolumbiens Präsident Gustavo Petro spricht von «Morden». Das eigentliche Ziel des «südlichen Speers» aber ist Nicolás Maduro, der autokratische Präsident Venezuelas. Auch er, so US-Aussenminister Marco Rubio, sei ein «Narkoterrorist», der Kopf der Drogenmafia Cártel de los Soles, ein Verbrecher, der vor der US-Justiz fliehe. Die US-Regierung hat auf ihn ein Kopfgeld von fünfzig Millionen US-Dollar ausgesetzt.
Maduro ist nicht flüchtig, er geht in aller Öffentlichkeit seinen Regierungsgeschäften nach. Das Cártel de los Soles – das Kartell der Sonnen – gibt es nicht, es ist ein Fantasieprodukt der US-Regierung. In der Umgangssprache Venezuelas bezeichnet man mit diesem Ausdruck nicht etwa ein Drogenkartell, sondern einen Klüngel korrupter Militärs. Man nennt sie «Cártel de los Soles», weil das Rangabzeichen auf der Uniform von Generälen eine goldene Sonne ist.
Schon in den achtziger Jahren warf die US-Regierung Manuel Noriega, dem damaligen Machthaber in Panama, vor, ein Drogenhändler zu sein. Sie verschwieg jedoch, dass er über zehn Jahre lang auf der Gehaltsliste des US-Geheimdienstes CIA stand. Es ging bei der Invasion vom Dezember 1989 nicht um Drogen, sondern um den Panamakanal. US-Präsident Jimmy Carter hatte 1977 mit Omar Torrijos, dem damaligen Führer einer Militärjunta in Panama, die Rückgabe der strategisch wichtigen Wasserstrasse zur Jahrtausendwende vereinbart. Noriega wollte schon in den 1980er Jahren die Lizenz für Stützpunkte der US-Armee nicht mehr verlängern, was der damalige US-Präsident George Bush senior nicht hinnahm.
Interesse am Erdöl
Auch die heutige Drohkulisse vor Venezuela wurde nicht für Drogenmafias aufgebaut. Venezuela spielt im Drogenhandel eine untergeordnete Rolle. Allenfalls acht Prozent des meist aus Kolumbien kommenden und in die USA geschmuggelten Kokains werden über seine Küste verschifft. Synthetische Drogen wie Fentanyl kommen allesamt aus Mexiko. Was Trump an Venezuela viel mehr interessieren dürfte, sind die weltweit grössten bekannten Erdölreserven. Auf die hat er, solange Maduro regiert, keinen Zugriff.
Über das kleine zentralamerikanische Land Panama fiel die US-Armee am 20. Dezember 1989 mit 20 000 Soldaten her. Die Kämpfe mit den dortigen Streitkräften dauerten gerade vier Tage. Gut 300 panamaische Militärs wurden getötet, dazu zwischen 1000 und 4000 Zivilist:innen. Gerade 24 US-Soldaten fielen. Noriega floh in die Botschaft des Vatikans, und nachdem diese Tag und Nacht mit ohrenbetäubendem Heavy Metal beschallt worden war, ergab er sich am 3. Januar 1990. Sollte ein ähnlicher Überfall auf Venezuela geplant sein, wird das mit Sicherheit nicht so einfach werden.
Maduro mag wegen der nie endenden Wirtschaftskrise, der Korruption und seines autoritären Regierungsstils bei der Mehrheit des Volks unbeliebt sein. Aber er kann noch immer zu den gut 120 000 Soldaten eine oder zwei Millionen Milizionäre mobilisieren. Die haben den Vorteil der Ortskenntnis. Ein Invasionsversuch würde deshalb viele US-Soldat:innen das Leben kosten. Schwarze Leichensäcke in Massen aber schaden der US-Regierung, und Trumps Berater werden das wissen. Ein solches Szenario ist eher unwahrscheinlich.
Wahrscheinlicher sind geheimdienstliche Operationen. Trump hat sie schon vor Wochen genehmigt. Konkretes ist noch nicht bekannt geworden. Man kann jedoch davon ausgehen, dass mehrere Gruppen von Agenten an Plänen arbeiten, wie Maduro und sein Führungszirkel festgesetzt oder umgebracht werden könnten. Sollte dabei etwas schiefgehen, liegt vor der Küste Venezuelas eine genügend grosse Streitmacht, um solche Agenten schnell aus dem Land zu holen.