Party in Neukölln

Wenn die legendäre türkische Poetin und Sängerin Şahturna an der Wahlveranstaltung zum Halaytanz aufruft, gibt es in der Tat etwas zu feiern. So geschehen gestern in Neukölln. Der Partei Die Linke ist an der gestrigen Bundestagswahl eine heimliche Sensation geglückt: Sie hat ihren Stimmenanteil von 4,9 Prozent (2021) auf neu 8,8 Prozent gesteigert. Damit wird sie künftig mit 64 Abgeordneten im Bundestag vertreten sein. Die grösste Sensation schaffte dabei der Aktivist und Politiker Ferat Koçak, der aus Berlin-Neukölln per Direktmandat in den Bundestag einzieht. 

Als Sohn einer kurdischen Arbeiter:innenfamilie wuchs Koçak in Neukölln auf, wo er früh politisch aktiv wurde. Tief verwurzelt im Bezirk, ist er Teil von unterschiedlichen Kollektiven und tritt an linken und antifaschistischen Demonstrationen immer wieder auch als Redner in Erscheinung. Durch seine Arbeit an der Basis, seine kämpferische Rhetorik und den geschickten Umgang mit Social Media konnte er sich in den letzten Jahren eine ansehnliche Reichweite aufbauen, die ihm jetzt dabei geholfen haben dürfte, diesen Coup zu landen. 

Dass Koçak immer wieder klassenkämpferische Töne von sich gab, rechte Gewalt anprangerte und diese Positionen auf Instagram unter dem Pseudonym «der_neuköllner» dann auch teilte, rückte ihn selbst ins Visier der Neonazis: 2018 wurde sein Wohnhaus attackiert und in Brand gesetzt – ein Anschlag, der nur durch glückliche Umstände keine Menschenleben forderte. Später kam ans Licht, dass der Verfassungsschutz über die Gefahr eines Anschlags informiert gewesen war, jedoch nicht eingegriffen hatte. Koçak machte den Fall öffentlich und kämpft seither verstärkt für eine umfassende Aufklärung.  

Koçaks Einzug in den Bundestag ist aber mehr als nur ein persönlicher Erfolg – er steht exemplarisch für eine kämpferische Linke, die sich mit dezidiert linker Politik wachsenden rechten Tendenzen in Deutschland entgegenstellt. Koçak steht auch für eine migrantische Linke, die voller Selbstbewusstsein auf die eigene soziale Herkunft blickt – und dieses Selbstbewusstsein bildstark einzusetzen weiss, wie es in seinem Wahlvideo «Neukölln gibt Hoffnung» der Fall ist. Auf der ausgelassenen Party in Neukölln wurde gestern der Erfolg dieses Selbstbewusstseins gefeiert.

Ein Blick auf die gesamte Wahlkarte Deutschlands führt jedoch rasch zur Ernüchterung.