Besetztes Kloster in Österreich: Ora et occupa

Nr. 40 –

In der Nähe von Salzburg eignen sich drei Nonnen das Kloster, aus dem sie zuvor verbannt worden waren, wieder an. Seither ist ihre Agenda voller Medientermine – und ihr Instagram-Kanal ein Hype.

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Schwester Rita und Schwester Bernadette
«Wären wir nicht so katholisch, würden wir aus der Kirche austreten»: Schwester Rita und Schwester Bernadette.

Ein besetztes Haus, doch statt antikapitalistischer Tags und Schriftzüge prangen an den Wänden zahlreiche Kreuze und Madonnen. Zwei Jahre stand das Kloster Goldenstein bei Salzburg leer. Nun türmen sich vor dem Hauseingang Umzugskisten, an der Wand baumelt eine improvisierte Stromleitung. Wasseranschlüsse wurden teilweise gekappt, Duschen und Waschbecken zerstört, Schränke herausgerissen.

Heute Sonntag ist Ruhetag. Die 86-jährige Schwester Regina verbringt den Nachmittag mit einem Nickerchen, während Schwester Rita durch die Gegend wuselt. Sie ist mit 81 Jahren die Jüngste, geht jeden Morgen joggen, kümmert sich um den verwilderten Garten und hilft beim Aufräumen. Schwester Bernadette, 88 Jahre alt, sitzt im Bett und steht nur widerwillig auf, um ihre Rolle als Pressesprecherin wahrzunehmen. Seit Wochen werden die drei Nonnen von Reporter:innen aus ganz Europa belagert, und Bernadette muss jeden Tag die gleiche Geschichte erzählen: von Machtmissbrauch in der katholischen Kirche und dem ungewöhnlich unkatholischen Kampf der drei Nonnen für Selbstbestimmung.

Ins Altersheim verfrachtet

Die drei Schwestern gehören den Augustiner-Chorfrauen an. Bereits als Jugendliche traten sie ins Kloster ein, das damals noch 35 Nonnen zählte. Sie begleiteten unzählige Mädchen durch die Pubertät – Schwester Bernadette als Lehrerin, Schwester Rita als Erzieherin und Schwester Regina als Direktorin des Mädcheninternats Goldenstein. In der Gemeinschaft kümmerten sich die Nonnen um ihre Mitschwestern, die alle bis zu ihrem Tod im Kloster lebten. Auch die letzten drei Schwestern von Goldenstein wollten ihren Lebensabend eigentlich im Kloster verbringen – doch die Kirche hatte andere Pläne für sie.

«Als wir nur noch drei Schwestern waren, brummte uns Rom einen höheren ‹Oberen› als Leitung unserer Gemeinschaft auf», erzählt Bernadette am Gartentisch vor dem Kloster: Probst Markus Grasl vom Stift Reichersberg und ebenfalls «Oberer» der Augustiner-Chorherren. Im August 2022 unterzeichneten die drei auf Druck des Vatikans einen Vertrag, mit dem sie das Kloster an den Stift Reichersberg und die inzwischen gemischte Mittelschule Goldenstein an die Erzdiözese Salzburg übertrugen. Der Vertrag hielt zwar fest, dass die drei letzten Schwestern bis an ihr Lebensende im Kloster Goldenstein wohnen können. Doch weiter unten im Text versteckte sich ein Passus, der Letzteres wieder auflöste: Das Kloster solle zwar im Sinne der drei Schwestern weitergeführt werden, doch damit sei keine rechtlich verbindliche Gegenleistung verbunden.

Schwester Rita kommt an diesem Sonntag nicht zur Ruhe. Ständig empfängt sie freudig neuen Besuch: ehemalige Schülerinnen, Nachbar:innen oder Unbekannte, die vom Widerstand der drei Nonnen Wind bekommen haben. Als sie am Gartentisch vorbeihuscht, setzt sie sich schliesslich auf Anweisung von Schwester Bernadette. Sie sagt: «Wir hätten nie gedacht, dass unsere Geschichte durch die ganze Welt geht.»

Rund ein Jahr nach der Vertragsunterzeichnung verfrachtete Grasl die drei Schwestern unter dem Vorwand einer «äusserst prekären gesundheitlichen Lage» in die Seniorenresidenz Oberalm. Zunächst liess er Schwester Regina und Schwester Bernadette nach einem Klinikaufenthalt direkt nach Oberalm bringen – ohne Vorankündigung und gegen ihren Willen. «Der Probst Grasl hat alle Macht bekommen und spielt sie aufs Äusserste aus», schildert es Bernadette. Als er ihr gesagt habe, sie müsse nun hierbleiben, habe sie ihm entgegnet: «So wie du uns behandelst, bleibe ich nur eine Woche gehorsam.»

Schwester Rita war derweil gerade für Ordensbesprechungen in Deutschland. Sie stieg am Abend in Essen in ein Auto und fand sich am Morgen in Oberalm wieder. «Einen alten Baum verpflanzt man nicht», habe sie gesagt, als sie mit ihren Koffern im Zimmer von Schwester Bernadette gestanden sei. Auch Bernadette erinnert sich daran und beugt sich zu Rita hinüber. «Sie stand da so geschockt.» Vor den Schwestern strahlt eine Madonna im Sonnenlicht, hinter ihnen hängt ein Kreuz. «Wären wir nicht so katholisch», sagt Bernadette, «würden wir aus der Kirche austreten.»

Keine Chance vor Gericht

Eine ehemalige Schülerin, Christina Wirtenberger, gesellt sich zu den Nonnen an den sonnigen Gartentisch. Wirtenberger lebt heute in Zürich, 1974 hatte sie das Mädcheninternat abgeschlossen und die Nonnen seither regelmässig besucht. Als die drei nach fünf Monaten «Kurzzeitpflege», wie der «Obere» es verordnet hatte, noch immer in der Altersresidenz waren, machte sich Wirtenberger Sorgen. Mit dem Vertrag mit Probst Grasl hatten die Nonnen nicht nur ihr lebenslanges Zuhause, sondern auch ihre finanzielle Selbstbestimmung verloren, ihr gesamtes Vermögen war an das Stift Reichersberg übergegangen. «Der hat gewusst, was das für uns bedeutet, und wir nicht», sagt Schwester Bernadette dazu. Der Probst hatte das Klosterkonto mit 400 000 Euro Erspartem aufgelöst – und den Nonnen fortan ein monatliches Taschengeld von 50 Euro gezahlt.

Wirtenberger engagierte einen Anwalt, der die Vorwürfe der Nötigung und Veruntreuung im März dieses Jahres an die Staatsanwaltschaft Salzburg übergab. Bereits im Mai stellte das Landesgericht das Verfahren gegen Probst Grasl ein. Der Anwalt sagte zu Wirtenberger, ohne mediale Begleitung würde die Rückkehr der Nonnen in ihr Kloster nichts werden. So verfasste die ehemalige Schülerin ein Schreiben an ihre alten Kameradinnen aus Goldenstein, mobilisierte Dutzende Unterstützer:innen und informierte die Medien über die Besetzungspläne, die die Nonnen zu hegen begannen.

Am 4. September, fast zwei Jahre nachdem sie das Kloster hatten verlassen müssen, war es so weit: Regina, Rita und Bernadette assen ein letztes Mittagessen in der Seniorenresidenz. «Wir atmeten gemeinsam tief durch», erzählt Schwester Bernadette, «und kehrten nach Hause zurück.» Besetzer:innen sprechen gemeinhin nicht darüber, wie sie sich Zugang zu Gebäuden verschaffen. Bernadette sagt, ein Schutzengel sei angeflogen gekommen und habe ihnen die Tore geöffnet, um das Kloster wiederzubeleben.

Bei der Rückkehr fanden die Nonnen ihre Zimmer durchwühlt vor – Wertgegenstände und mehrere Tausend Euro waren verschwunden. Schwester Bernadettes Zimmer war komplett leer geräumt: «Als ich hier ankam, stand kein Schrank, kein Tisch, kein Betstuhl mehr da. Die Wände waren kahl, und all meine persönlichen Gegenstände und Erinnerungen waren weg.» Auch der Treppenlift, der den Schwestern Bernadette und Regina ermöglicht hatte, die vielen Treppen im Kloster schmerzfrei zu überwinden, war abmontiert worden. Inzwischen wird Geld für einen neuen gesammelt.

Von Nonnen zu «Churchfluencern»

Die vielen Helfer:innen, die sich um die drei kümmern und von denen längst nicht alle gläubig sind, versuchen auch am sonntäglichen Ruhetag, wieder Ordnung ins Chaos zu bringen. Dabei wird auch mal über den «heiligen Scheiss» geflucht, der überall rumfliegt. Ein Unterstützer startete kurz nach der Rückkehr einen Instagram-Kanal für die Nonnen, auf dem er mit täglichen Videos den Alltag im besetzten Kloster dokumentiert. Die Videos mit den Hashtags #klosterleben und #churchfluencer verbreiteten sich innerhalb kürzester Zeit rasant. Es folgten diverse Medienberichte, heute haben die drei Schwestern über 56 000 Follower:innen. Ohne diese Öffentlichkeit hätten die Nonnen kaum eine Chance, sich gegen den Machtmissbrauch ihres «Oberen» zu wehren, sind sie überzeugt. Was für sie ein Machtmittel ist, ist für Grasl unerwünschte Aufmerksamkeit: Während die Klosterbesetzerinnen zwar keine Türen verbarrikadieren, sich aber mit Überwachungskameras und einem Sicherheitsdienst räumungssicher machen, sitzt der Probst die Sache aus. Keine Auskunft über die zerstörten sanitären Anlagen, die Quasiverbannung der Nonnen. Über seinen Kommunikationsberater lässt Grasl verlauten, dass «in dieser aufgeheizten Atmosphäre» keine Gespräche mit den Nonnen möglich seien.

Er tue ihnen leid, erklärt Schwester Bernadette. «Wir haben schon immer für ihn gebetet und beten auch heute noch, dass er wieder zu Sinnen kommt.» Bis es so weit ist und wieder Normalität einkehrt, teilen sich die drei Nonnen das Kloster mit ihren Unterstützer:innen. Und streamen ihr Leben weiter auf Instagram.