Widerstand in Grossbritannien: Die bürgerliche Presse schwärmt vom «höflichen» Protest

Nr. 48 –

Eine geplante Reform der Erbschaftssteuer versetzt die britischen Landwirt:innen in Aufruhr. Betroffen wären zwar nur wenige – viele Probleme der Branche sind aber real.

Allein die Reaktionen der konservativen Presse zeigten, dass es ein ungewöhnlicher Protest war. Als sich vergangene Woche geschätzte 10 000 Landwirt:innen im Londoner Regierungsviertel einfanden, erging sich etwa der «Daily Telegraph» in peinlichen Schwärmereien. Das Blatt, das sonst jedes Protestplakat als Bedrohung der öffentlichen Ordnung ansieht, gab sich entzückt über die «höflichen», «respektvollen» Protestierenden, die «jedes Recht» hätten, auf die Strasse zu gehen. «Das Rückgrat Grossbritanniens leistet Widerstand», hiess es.

Der Widerstand richtet sich gegen die Erbschaftssteuer für landwirtschaftliche Betriebe, die die Labour-Regierung vor einem Monat angekündigt hat. Landwirt:innen, deren Betrieb einen Gesamtwert von einer Million Pfund überschreitet, müssen ab 2026 eine Steuer von zwanzig Prozent bezahlen, wenn sie diesen an ihre Kinder vererben – zuvor war Agrarland von dieser Steuer ausgenommen.

Die Regierung stopft damit ein notorisches Schlupfloch. Denn die Befreiung von der Steuer hat viele Reiche dazu verleitet, sich Landwirtschaftsland unter den Nagel zu reissen. Darunter ist zum Beispiel der Staubsaugermagnat James Dyson, der ein 13 000 Hektaren grosses Grundstück im Wert von einer halben Milliarde Pfund besitzt. Oder der reaktionäre TV-Promi und Autofan Jeremy Clarkson, der 2010 einen Bauernhof kaufte und sich freimütig mit der «lohnenden, steuerfreien Investition» brüstete. Weil er nicht vorhatte, etwas zu produzieren, benannte er den Hof in «Diddly Squat Farm» um – in etwa: Praktisch-nichts-Farm (Clarkson hält sich für witzig).

Ein bescheidenes Einkommen

Wenn nun solche Leute wütend auf die Strasse gehen und Labour als Feind:innen der Landwirtschaft anprangern – Clarkson war beim Protest im Londoner Regierungsviertel mit dabei –, wird dies bei den wenigsten auf Verständnis stossen. Doch die Proteste gehen weit über das Milieu der Steinreichen hinaus, die Kampagne der echten Landwirt:innen findet erhebliche Resonanz. Letzte Woche standen auch Unzählige in der Menge, die einen Familienbetrieb führen, ein sehr bescheidenes Einkommen haben und fürchten, den Hof nicht an ihre Kinder vererben zu können.

«Wir müssten zu viel Grund verkaufen, um das Geld dafür aufzubringen», sagt etwa die 53-jährige Lucy Warner, die auf ihrem Hof in Oxfordshire Weizen und Gerste anbaut und Schafe züchtet. «Tausende Bauern hier sind in der genau gleichen Situation.» Das Land möge auf dem Papier grossen Wert haben, das übersetze sich aber nicht in hohe Profite, meinen die Protestierenden – und tatsächlich verdienen viele Bäuer:innen weniger als den Durchschnittslohn.

Laut der Regierung basiert die Wut der Landwirt:innen auf einem Missverständnis. Kalkuliere man richtig, werde der Grossteil der Landbesitzer:innen nichts zahlen müssen: Der Freibetrag sei kumulativ (eine Million Pfund pro erbende Person), zudem gebe es weitere Rabatte, sodass die neue Steuer im Effekt erst bei drei Millionen Pfund einsetze. Laut Finanzamt haben weniger als 500 der über 200 000 britischen Landwirtschaftsbetriebe einen Gesamtwert von mehr als einer Million Pfund. Und auch Steuerexpert:innen gehen davon aus, dass nicht so viele Bäuer:innen betroffen sein werden, wie landwirtschaftliche Verbände befürchten. Im Gespräch mit den Landwirt:innen in Westminster wird jedoch klar, dass sie die angekündigte Steuer auch deshalb als unfair empfinden, weil das Leben auf dem Land schon jetzt sehr prekär ist. Es sei ein weiterer Angriff auf eine Gruppe, die seit Jahren mit wachsenden Problemen kämpfe.

Grössere Reformen nötig

«Wir sind die einzige Industrie, die ihre Preise nicht selbst festlegen kann», sagt Lucy Warners Ehemann Richard, der die Farm gemeinsam mit ihr führt. «Auch das Wetter können wir nicht kontrollieren.» Die nassen Winter- und Frühlingsmonate haben dafür gesorgt, dass die diesjährige Weizenernte im Vergleich zum Vorjahr um ein Fünftel eingebrochen ist. Mit der sich verschärfenden Klimakrise werden solche Ereignisse häufiger werden. Im Frühjahr startete eine Gruppe von Landwirt:innen die Kampagne «Basic Income 4 Farmers»: Sie wollen ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Landarbeiter:innen, um ihnen finanzielle Sicherheit zu geben.

Dazu kommt, dass in der Landwirtschaft grössere Reformen nötig sind, um etwa die Schadstoffemissionen zu verringern oder die Gewässerverschmutzung einzudämmen. Der Erbschaftssteuerstreit drohe diese Konversationen zwischen Regierung und Bäuer:innen zu erschweren, schreibt Tom Lancaster vom Thinktank Energy and Climate Intelligence Unit. Diese langfristigen Folgen einer zerrütteten Beziehung könnten gravierend sein.

Darüber hinaus ist der Steuerstreit eine goldene Gelegenheit für rechte Demagog:innen: Seht her, die Linke stellt erneut unter Beweis, dass sie sich nicht um das Wohlergehen der Landwirt:innen schert – so der Tenor, den man seit Wochen von rechten Politikerinnen und Kolumnisten hört. Am Protest letzte Woche waren auf‌fallend viele Nationalflaggen zu sehen, der Extremist Nigel Farage von der Reformpartei lungerte herum, ebenso zeigten Vertreter:innen der rechtspopulistischen Tories ihre Solidarität. Wenn sich der Knatsch wochenlang hinziehen sollte, könnte es für die Regierung schmerzhaft werden.