Film: Porträt der tunesischen Jugend

Vieles hier wäre für eine romantische Liebesgeschichte angelegt: zwei gegensätzliche Charaktere, ein Roadtrip, der gemeinsame Traum von einer besseren Zukunft. «Where the Wind Comes From» jedoch – das ist das Erfrischendste an diesem warmen Coming-of-Age-Roadmovie der jungen tunesischen Filmemacherin Amel Guellaty – erzählt von der platonischen Liebe zwischen einer jungen Frau und einem jungen Mann in Tunesien.
Alyssa (Eya Bellagha) und Mehdi (Slim Baccar) sind seit der Kindheit beste Freund:innen. Sie träumt von Europa, trägt aber Verantwortung für die Schwester und die depressive Mutter. Er ist Künstler, der an sich zweifelt. Als Alyssa eine Ausschreibung für einen Kunstwettbewerb entdeckt, dessen Hauptpreis eine Artist-Residency in Deutschland ist, überzeugt sie Mehdi teilzunehmen. Gemeinsam brechen sie zu einem Roadtrip von Tunis nach Djerba auf, dem Austragungsort des Wettbewerbs.
Soziale Gegensätze und die tunesische Revolution bilden den erzählerischen Rahmen, die Beziehung der beiden Hauptfiguren den Spannungsbogen. Die Verbindung von Alyssas Ideenreichtum und Mehdis Kunst eröffnet Möglichkeitsräume eines besseren Lebens. Animationen visualisieren Alyssas Fantasie und korrespondieren mit Mehdis surrealistischen Bildern – Ausdruck von Vertrautheit, die im eindringlichen Zusammenspiel der beiden spürbar wird. Auch die Musik übernimmt eine narrative Funktion, leider werden arabische Liedtexte nicht untertitelt.
«Where the Wind Comes From» ist ein sinnlicher Film, der Körper zeigt, ohne sie auszustellen – zum Beispiel wenn Mehdi im Olivenhain Alyssas Porträt malt, mit dem Rauschen des Windes in den Bäumen, dem weich verschwimmenden Hintergrund der Detailaufnahmen. Dieses Porträt ist zugleich eines der tunesischen Jugend: eine offene, nach Selbstbestimmung strebende Generation, deren Trauer daraus erwächst, dass sie sich nicht so ausdrücken kann, wie sie es gerne möchte. Kunst und Fantasie mögen die Welt nicht verändern. Sie helfen aber herauszufinden, wohin es gehen soll – und gemeinsam träumt es sich besser vom guten Leben.