Gaza Humanitarian Foundation: Die Schweiz als willfährige Gehilfin

Nr. 28 –

Die humanitäre Hilfe in Gaza läuft seit Mai über eine von Israel und den USA kontrollierte private und militarisierte Organisation. Die Folgen sind katastrophal. Die Schweiz war eine wichtige Steigbügelhalterin beim Aufbau der umstrittenen Organisation.

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Palästinenser:innen warten im Mai auf die Verteilung von Nahrungsmitteln
Palästinenser:innen warten im Mai auf die Verteilung von Nahrungsmitteln. Das Foto hat ein anonymer Subunternehmer der GHF gemacht. Foto: Keystone

Am besten beginnt man mit einer Schmeichelei, die gerade um die Welt geht: Am Dienstag sagte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu dem US-Präsidenten Donald Trump bei einem Besuch in Washington, er habe ihn für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Netanjahu weiss genau, warum er Trump den Hof macht: Die USA sind der verlässlichste Partner der israelischen Regierung, die seit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 in Gaza einen Krieg führt, der immer genozidalere Züge annimmt. Der US-Präsident hat bereits im Februar seine Vision für den Gazastreifen skizziert: Die USA würden eine «Riviera des Nahen Ostens» aufbauen, die Palästinenser:innen müsse man dazu bringen, «freiwillig umzusiedeln». Dieser Plan Trumps ist Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremisten in Netanjahus Kabinett, die schon lange vor dem 7. Oktober von einer Vertreibung der Palästinenser:innen aus dem Gazastreifen träumten.

Finanzminister Bezalel Smotrich skizzierte bereits 2017 einen grausamen Plan: Die palästinensischen Gebiete müssten annektiert, die Palästinenser:innen gänzlich unterjocht werden. Wer das nicht akzeptiere, müsse vertrieben, wer dagegen kämpfe, gejagt und getötet werden. Smotrich war es auch, der kürzlich gegenüber der israelischen Presse offen sagte, dass Israel mit seinem aktuellen Vorgehen die – völkerrechtswidrige – Vertreibung der Palästinenser:innen vorbereite. Verteidigungsminister Israel Katz wiederum hat am Dienstag Pläne vorgestellt, alle Palästinenser:innen im Gazastreifen in ein Lager im zerstörten Rafah zwingen zu wollen. Dort sollen sie zur «freiwilligen Ausreise» motiviert werden.

Zweigstelle in Genf

Als zentrales Instrument bei der Umsetzung dieser Vertreibungspläne erweist sich zunehmend die Gaza Humanitarian Foundation (GHF), die Ende Mai die humanitäre Versorgung im Gazastreifen übernahm. Hinter der GHF steckt ein undurchsichtiges Geflecht aus CIA-Leuten und US-Geschäftsmännern – mit Verbindungen zur Trump-Regierung wie auch zur israelischen von Netanjahu und in evangelikale Kreise. Das operative Zentrum liegt in der US-Steueroase Delaware, doch die Stiftung hat im Februar auch eine Zweigstelle in Genf registriert. Wie ein publik gewordenes GHF-Memo verrät, war diese dazu da, «Spendern entgegenzukommen, die eine Beteiligung ausserhalb der USA-Struktur bevorzugen».

Doch der Plan, über den Schweizer Finanzplatz Geld zu beschaffen und am Standort des humanitären Völkerrechts das Image zu polieren, ist gescheitert: Das einzige Schweizer Stiftungsratsmitglied, der auf vermögende Privatkund:innen spezialisierte Genfer Wirtschaftsanwalt David Kohler, ist Mitte Mai abgesprungen. Der Stiftung ist es laut der Nachrichtenagentur Reuters auch nie gelungen, in der Schweiz ein Konto zu eröffnen. Ende Juni hat die Eidgenössische Stiftungsaufsicht die Auflösung der Zweigstelle veranlasst, weil mehrere Auflagen nicht erfüllt waren. Die WOZ hätte von Kohler gerne mehr zu seiner Rolle erfahren, doch dieser reagierte nicht auf Anfragen – ebenso wenig wie die GHF selbst.

Palästinenser:innen suchen nach der Abgabe von Hilfsgütern in einem GHF-Zentrum in Rafah nach verwertbaren Resten
Nach dem Ansturm: Palästinenser:innen suchen nach der Abgabe von Hilfsgütern in einem GHF-Zentrum in Rafah nach verwertbaren Resten. Foto: Reuters

Fakt ist: Seit die GHF in Gaza tätig ist, hat sich dort die ohnehin katastrophale Lage nochmals zugespitzt. Die Organisation, die vor Ort mit privaten Subunternehmen kooperiert, setzt auf gerade einmal vier – hochmilitarisierte – Verteilzentren im Süden des Gazastreifens. Vor der im März von Israel durchgesetzten Blockade hatten NGOs 400 Verteilstellen betrieben und Hilfsgüter dezentral verteilt – allen voran das seit Jahrzehnten in Gaza tätige Uno-Palästinenser:innenhilfswerk UNRWA.

Zehntausende von hungernden Palästinenser:innen sind seither gezwungen, kilometerlange Märsche auf sich zu nehmen, um zu den GHF-Zentren zu gelangen, wo sich regelmässig wüste Verteilkämpfe abspielen und gemäss Recherchen von «France 24» und AP immer wieder Sicherheitsleute und Soldaten auf die verzweifelten Menschen schiessen. Laut einem Uno-Bericht sind seit Ende Mai rund um die Zentren mehr als 600 Menschen getötet worden. «Es ist wichtig zu verstehen, dass das, was wie ein tragisches logistisches Versagen erscheint, eine bewusste Strategie ist», schreibt das unabhängige israelisch-palästinensische Investigativmagazin «+972». Ziel sei, «die Bevölkerung in den Süden zu vertreiben, idealerweise in sogenannte Konzentrationszonen».

Umso bedenklicher ist das Verhalten der offiziellen Schweiz, besonders jenes von Aussenminister Ignazio Cassis. Während Mitte Mai über zwanzig Länder, darunter Deutschland und Frankreich, die GHF scharf kritisierten und eine Rückkehr zu Uno-basierten humanitären Hilfsstrukturen forderten, wollte das Aussendepartement (EDA) erst einmal abwarten, ob das israelische Modell funktioniere. Noch am 14. Mai haben EDA-Vertreter:innen im Büro der US-Botschaft in Tel Aviv «einen Dialog auf technischer Ebene über die GHF» geführt. Danach verlautbarte das EDA im «Blick», man schliesse eine Schweizer Beteiligung nicht aus.

Didier Pfirter war EDA-Diplomat und ist FDP-Parteikollege von Cassis. Er sagt, dass die Schweiz die Stellungnahme betreffend die GHF nicht unterzeichnet habe, habe für ihn «das Fass zum Überlaufen gebracht». Pfirter gehört zu einer 55-köpfigen Gruppe ehemaliger Botschafter:innen, die kürzlich einen erzürnten Brief an Cassis schickten. Auch eine zivilgesellschaftliche Allianz hat den Aussenminister aufgefordert, die israelischen Kriegsverbrechen in Gaza endlich klar zu verurteilen und mehr Druck auf Israel auszuüben. Die gleichen Forderungen kommen aus dem Innern des EDA. Dort brodle es schon lange, sagen Pfirter und eine weitere EDA-nahe Quelle, die anonym bleiben will. Viele Mitarbeiter:innen schämten sich für die aussenpolitische Linie der Schweiz, die sich bisher auch weigert, die Militärkooperation mit Israel aufzukündigen oder die Übernahme allfälliger Sanktionen in Aussicht zu stellen. Doch sagt die Quelle auch: «Wir sollten uns über die Haltung von Aussenminister Cassis nicht wundern, er ist sehr konsistent.»

Bevor Cassis 2017 in den Bundesrat gewählt wurde, war der FDP-Politiker Vizepräsident der Parlamentarischen Gruppe Schweiz–Israel, die von einer Allianz aus SVP- und Freikirchenvertreter:innen dominiert wird und sich klar pro Netanjahu-Regierung positioniert (siehe WOZ Nr. 23/17). Schon bei seiner ersten Reise als Bundesrat in den Nahen Osten 2018 machte Cassis deutlich, dass unter ihm ein anderer Wind wehen würde: Nach dem Besuch von UNRWA-Einrichtungen in Jordanien sagte er, die Organisation sei Teil des Problems, nicht der Lösung. Seine Mahnungen, alle Seiten müssten sich ans Völkerrecht halten, bleiben unglaubwürdig – immer wieder vermeidet es der Aussenminister, neben den grausamen Hamas-Angriffen auch das israelische Vorgehen in Gaza klar als Kriegsverbrechen zu benennen. So weigerte er sich während eines RTS-Interviews von letzter Woche, das Aushungern der Bevölkerung in Gaza und die Gewalt rund um die GHF-Zentren deutlich zu verurteilen. Stattdessen behauptete er, man wisse nicht genau, wer die Schüsse abgebe. Israel sei zudem nicht alleine für die schwierige Versorgungslage verantwortlich.

Die Zerstörung der UNRWA

Seit Israel den Krieg in Gaza führt, betreibt es verstärkt eine Kampagne gegen die unliebsame UNRWA. Diese sei systematisch von der Hamas unterwandert. Mehrere unabhängige Untersuchungen haben dafür keine handfesten Belege geliefert. Im letzten Oktober hat das israelische Parlament dem Uno-Hilfswerk die Tätigkeit auf israelischem Boden verboten. Dieses darf seit Februar nicht mehr dort arbeiten und musste sein Hauptquartier in Ostjerusalem räumen.

Die Schweiz war in den letzten Monaten willfährige Unterstützerin der Anti-UNRWA-Kampagne. Während andere Länder nach den entlastenden Untersuchungen rasch wieder Gelder für die Hilfsorganisation freigaben, hielt das EDA diese lange zurück. Im Bundeshaus wurden zahlreiche Vorstösse debattiert. Zuletzt scheiterte eine SVP-Forderung nur knapp, die UNRWA-Gelder nach bereits erfolgter Halbierung ganz zu streichen. In der Parlamentsdebatte sagte Cassis, er habe seine ablehnende Haltung gegenüber dem Hilfswerk nicht verändert und vertrete hier lediglich die Haltung des Bundesrats.

Anfang Juli hat das EDA endlich reagiert. In einem Statement schreibt es: «Laut mehreren übereinstimmenden Quellen werden in Gaza in der Nähe der Verteilungszentren Hunderte Menschen getötet und Tausende verletzt.» Das Departement fordert eine lückenlose Untersuchung dieser Vorfälle sowie Aufklärung darüber, ob die Aktivitäten der GHF mit politischen und militärischen Zielen verbunden seien. Kritik an Bundesrat Cassis wehrt es ab: Der Vorsteher des EDA, Ignazio Cassis, stehe aktiv für das humanitäre Völkerrecht und die Zweistaatenlösung ein und setze sich sowohl im Rahmen der Uno als auch bilateral im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt dafür ein.