Gaza Humanitarian Foundation: Humanitärer Mantel – kriegerisches Ziel
Israel will die Verteilung von Hilfsgütern einer Schweizer Stiftung überlassen. Jetzt zeigt sich: Es handelt sich um eine Tarnorganisation.
Seit diesem Montag versucht die Schweizer Stiftung Gaza Humanitarian Foundation (GHF), die Hilfslieferungen an die palästinensische Bevölkerung im kriegsversehrten Gazastreifen zu übernehmen. Die israelische Regierung, die in den letzten Wochen jede Hilfe blockierte und sie erst seit wenigen Tagen wieder begrenzt zulässt, billigt den Plan ausdrücklich. Gleichzeitig plant die israelische Armee die Besetzung des Gazastreifens und führt gross angelegte militärische Operationen durch. Laut der Uno-Organisation für Migration sind seit Ende des Waffenstillstands am 18. März 616 000 Menschen vertrieben worden. Weitere Vertreibungen sind bereits angekündigt.
Bislang wurde die humanitäre Hilfe im Gazastreifen durch die Uno und diverse Hilfswerke geleistet und dezentral an Hunderten Orten abgegeben, wobei letztlich das israelische Militär bestimmte, wie viele Hilfsgüter überhaupt in den Gazastreifen gelangten. Die GHF will nun Schritt für Schritt sowohl die Beschaffung der Hilfsgüter wie Essen, Hygieneartikel oder Medizin organisieren als auch die Verteilung übernehmen. Dafür will sie drei Verteilzentren im Süden des Gazastreifens aufbauen sowie eines in der Mitte. Jedes Zentrum soll auf 300 000 Personen ausgelegt sein.
Doch wird immer deutlicher, dass dieser Plan keine humanitäre Aktion ist, sondern die Vertreibung der Palästinenser:innen beschleunigen soll – ganz im Sinn des von den USA unterstützten israelischen Kriegsplans. Ausserdem will die Organisation den Zugang zu den Verteilzentren kontrollieren, was den Verdacht nährt, dass sie nur ihr genehme Personen mit Hilfslieferungen versorgen und andere sich selbst überlassen will.
Auftrag für Ex-CIA-Mann
Der leitende Direktor der Genfer Stiftung hat denn auch die Konsequenzen gezogen. Einen Tag vor der geplanten Eröffnung des ersten Verteilzentrums der Gaza Humanitarian Foundation ist CEO Jake Wood am Sonntag überraschend zurückgetreten. Es sei nicht möglich, den Plan umzusetzen «und gleichzeitig die Prinzipien der Humanität, Neutralität, Überparteilichkeit und Unabhängigkeit zu verfolgen». Mit Wood verliert die GHF ein Aushängeschild: Der Militärveteran ist Gründer des Hilfswerks Team Rubicon, das sich auf Soforthilfe bei Umweltkatastrophen spezialisiert hat.
Inzwischen lichtet sich auch allmählich der Nebel, wer hinter der Schweizer Stiftung steckt, die am 12. Februar in Genf gegründet wurde und deren einziger Schweizer Mitgründer, der Anwalt David Kohler, schon am 19. Mai zurückgetreten ist.
Gemäss einer Recherche der «New York Times» vom Samstag geht der Plan der GHF auf ein informelles Netz namens Mikveh Yisrael Forum aus israelischen Geschäftsleuten, Regierungsmitgliedern und Armeeangehörigen zurück. Nach Beginn des Gazakriegs seien dort Ideen diskutiert worden, wie Hilfsgüter ohne Einbezug der Uno verteilt werden könnten – deren Palästinahilfswerk UNRWA man eine zu grosse Nähe zur radikalislamischen Hamas unterstellt. Laut «New York Times» wurde schliesslich Philip Reilly von israelischen Stellen mit der Ausarbeitung eines Konzepts beauftragt. Reilly ist ein ehemaliger hochrangiger CIA-Agent, spezialisiert auf verdeckte Aktionen. Er war unter anderem an der Ausbildung von Kontrarebellen im Kampf gegen das von der Somoza-Diktatur befreite sandinistische Nicaragua beteiligt. Später wurde er Chef der CIA in Afghanistan. Nach seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst arbeitete Reilly für private Sicherheitsfirmen.
Heute besitzt er die private Sicherheitsfirma Safe Reach Solutions, die während des Waffenstillstands im Gazastreifen von Januar bis März einen Checkpoint betrieb. Bewaffnete Söldner untersuchten dort palästinensische Autos auf Waffen. Ein von Reilly beauftragter Anwalt soll laut der «New York Times» die Firma in den USA zusammen mit der Gaza Humanitarian Foundation gegründet haben – mit der gleichen Mediensprecherin. Erst später wurde auch eine Stiftung in der Schweiz gegründet. Reillys Sicherheitsfirma soll nun zusammen mit einem weiteren privaten Unternehmen die Zugangskontrolle bei den Verteilzentren der GHF übernehmen.
«Zynische Show»
Schon bevor diese Details an die Öffentlichkeit gelangten, war der Plan der GHF auf heftige Kritik gestossen. Tom Fletcher, Chef der humanitären Hilfe der Uno, nennt ihn eine «zynische Show». Der Schweizer Philippe Lazzarini, Chef der UNRWA, sagt: «Hier wird Hilfe zur Waffe.» Eine Gruppe von 24 Staaten (darunter etwa Deutschland, Frankreich und Grossbritannien) schreibt am 19. Mai: «Das neue Modell verknüpft die Hilfe mit politischen und militärischen Zielen. Hilfe sollte aber nie politisiert werden.» Die Schweiz hat sich der Erklärung nicht angeschlossen. In einem Radiointerview beteuert die Diplomatin Monika Schmutz Kirgöz jedoch, die Schweiz werde die GHF nicht unterstützen. Man sei vom US-Botschafter in Israel über den Plan informiert worden.
Die offizielle Schweiz muss sich dennoch mit der GHF befassen: Die NGO Trial International bezweifelt deren Rechtmässigkeit und verlangt in zwei rechtlichen Eingaben bei der Stiftungsaufsicht und dem Aussendepartement eine administrative Untersuchung. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die GHF nationale und internationale Gesetze verletze. Die Zusammenarbeit mit privaten Sicherheitsunternehmen führe zur Militarisierung der Hilfsgüterverteilung. Die Fokussierung auf wenige Verteilzentren schliesse zudem Bevölkerungsgruppen gezielt aus, schreibt die Genfer NGO, die sich gegen die Straflosigkeit bei internationalen Verbrechen einsetzt.