Nachhaltige Investments: Es herrscht Katerstimmung
Viele Finanzinstitute schrumpfen ihre Nachhaltigkeitsteams ein, grosse Player verlassen die wichtigsten Initiativen.

Florian Brunner ist Mitte vierzig, hat drei Kinder und einige Zehntausend Franken auf der Seite. Lange lag das Geld auf der Bank, nun möchte er es investieren. Als Experte berät Brunner Gemeinden und Unternehmen zu Energie- und Umweltfragen, zuvor arbeitete er neun Jahre bei der Schweizerischen Energie-Stiftung. Er weiss also, wohin sein Geld fliessen sollte – und vor allem, wohin nicht. Trotzdem fällt ihm der Investitionsentscheid schwer. «Gegen aussen klingen die angebotenen Fonds alle gut, schaue ich aber genauer hin, halten sie meinen Überzeugungen nicht stand», sagt Brunner, der sich ausführlich beraten liess und feststellen musste, «dass die meisten aus Wertpapieren von Grosskonzernen wie UBS, Nestlé oder den US-Techgiganten Google, Tesla oder Amazon bestehen. In einigen finden sich sogar Atom- oder Ölunternehmen.»
Um für Kund:innen wie Brunner mehr Klarheit zu schaffen, hat die EU am 21. Mai eine neue Regelung in Kraft gesetzt. Es geht dabei um die Nutzung von Begriffen wie «sustainable», «responsible» oder «climate» in der Finanzindustrie. Alles Begriffe, die für Nachhaltigkeit stehen. Investmentfonds mit diesen Bezeichnungen im Namen dürfen unter der neuen Regelung nicht mehr in Energieunternehmen investieren, wenn diese mehr als ein Prozent ihres Umsatzes mit Kohle erwirtschaften, zehn Prozent mit Öl oder fünfzig Prozent mit Gas. Die Hoffnung: damit besonders schädliche Investitionen der Finanzindustrie zu verhindern. Doch statt die entsprechenden Wertpapiere abzustossen, änderten viele Fondsmanager:innen kurzerhand die Bezeichnungen ihrer Fonds. Darunter auch Schweizer Finanzinstitute. Bei mindestens dreissig Fonds ersetzte etwa die Zürcher Kantonalbank «responsible» mit «committed», ein Begriff, den die entsprechende EU-Richtlinie nicht nennt. Viel grossflächiger eingegriffen hat die UBS: Sie benannte die Hälfte ihrer Fonds im EU-Raum um, wie eine Analyse der deutschen NGO Urgewald zeigt.
Lasche Schweizer Regulierung
Einer der umbenannten UBS-Fonds hiess in der EU bis zum 20. Mai «UBS European Opportunity Sustainable Equity Fund». Pünktlich zum Inkrafttreten der neuen Regelung strich die UBS den Begriff «sustainable» und vermarktet den Fonds seither ohne den Nachhaltigkeitsverweis. Der Grund: Eine der wichtigsten Firmen im Fonds war im Mai der britische Ölkonzern Shell, dessen Umsatz zu rund neunzig Prozent aus dem Öl- und Gasgeschäft stammt.
Ganz anders das Bild in der Schweiz: Hier vermarktet die UBS den fast identischen Fonds mit Shell nach wie vor mit dem Nachhaltigkeitsverweis. Die Schweiz hinkt der EU bei der Regulierung hinterher: Im Unterschied zu den EU-Richtlinien gibt es hierzulande weiterhin keine klare Definition, welche Vermögenswerte als nachhaltig einzustufen sind. Die Schweizerische Bankiervereinigung erliess 2022 lediglich Selbstregulierungs-Mindestvorgaben für die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien in der Anlageberatung und ergänzte diese 2024 mit einer Empfehlung zur Vermeidung von Greenwashing. Auf Anfrage bestätigt die Bankiervereinigung, dass die Vorgaben keine klaren Definitionen enthalten. Man stütze sich dabei auf einen Entscheid des Bundesrats von 2022: «So wie er auf inhaltliche Vorgaben verzichtet hat, enthalten auch die Selbstregulierungen keine solchen», schreibt die Medienstelle. «Ein solcher Aufwand wäre für ein kleines Land wie die Schweiz unverhältnismässig.»
Anders argumentiert die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma, die ein Mandat dafür hat, Anleger:innen «vor Täuschung und damit auch vor Greenwashing» zu schützen, wie sie in ihrem Jahresbericht 2024 festhält. Sie schreibt dort, dass «aufgrund der lückenhaften gesetzlichen Grundlagen» der Handlungsspielraum der Finma für eine effiziente Prävention und Bekämpfung von Greenwashing eingeschränkt sei. So seien als «nachhaltig» bezeichnete Finanzprodukte und -dienstleistungen am Schweizer Finanzmarkt allgegenwärtig. Es bleibe für Anlegerinnen und Anleger genauso wie für Kundinnen und Kunden herausfordernd, sich ein klares Bild zu verschaffen. Sie schlussfolgert deshalb: «Die Finma erachtet die Selbstregulierungen der Branchenverbände als nicht ausreichend.» Diese setzten keinen klaren Referenzrahmen zu Nachhaltigkeitszielen, und es fehlten wirksame Kontroll- und Durchsetzungsmechanismen. Zum «UBS European Opportunity Sustainable Equity Fund» dürfe sich die Finma aufgrund der Vertraulichkeit der Aufsichtstätigkeit nicht äussern, sagt Mediensprecher Serkan Isik auf Anfrage.
Die Schweizerische Bankiervereinigung rechtfertigt ihre lasche Definitionspraxis auf Anfrage auch mit Entwicklungen in der EU: Denn trotz der neuen Richtlinie zur Bezeichnung von Nachhaltigkeitsfonds stehen entsprechende Regulatorien auch dort unter Druck. Seit 2022 dürfen etwa bestimmte Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke als nachhaltig vermarktet werden. Vor allem aber soll ein in diesem Frühjahr als Vereinfachung angekündigtes Gesetzespaket in der EU-Kommission (Omnibus) eine regelrechte Deregulierungsflut bei Nachhaltigkeitsvorgaben in Gang setzen. Teile davon sind bereits beschlossen.
Die Zeichen stehen auf Abbau
Wie stark die Bedeutung von Nachhaltigkeit derzeit sinkt, zeigt sich auch bei den grossen Schweizer Finanzinstituten. So hat etwa die Postfinance unter dem neuen CEO Beat Röthlisberger die Nachhaltigkeitsabteilung in einige Entfernung zur Geschäftsleitung gerückt. Und laut Branchenkenner:innen, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen wollen, haben die beiden Privatbanken Julius Bär und LGT Nachhaltigkeitsteams eingekürzt oder Abgänge dürften nicht mehr ersetzt werden. Auf Anfrage bestätigen Postfinance und Julius Bär das. Letztere ergänzt, dass ein grundsätzlicher Personalabbau stattgefunden habe, und LGT spricht verklausuliert von «personellen oder organisatorischen Veränderungen» im Nachhaltigkeitsbereich. Die UBS hat entsprechende Fragen nicht kommentiert. Anders sieht es laut Branchenkenner:innen bei Kantonalbanken aus, weil Nachhaltigkeit beim Kanton als Eigentümer oft einen anderen Stellenwert habe.
Die Stimmung auf Nachhaltigkeitskonferenzen gleiche derzeit der von Begräbnissen, sagt der WOZ eine Person, die bei einem grossen Schweizer Vermögensverwalter in der Nachhaltigkeitsberatung tätig ist und ihren Namen ebenfalls nicht in der Zeitung lesen will. Und auch Michael Diaz, der für die Beratungsfirma Wavestone Finanzinstitute bei Nachhaltigkeitsprojekten berät und zuvor über zehn Jahre Leiter Anlegen bei der Alternativen Bank Schweiz war, sagt auf Anfrage: «Sustainable Finance befindet sich in einer kritischen Phase.» Viele Programme liefen zwar weiter, innovative Bemühungen hätten es aber schwer. Der Markt dafür sei eingebrochen.
Diesem Trend widerspricht die jährlich publizierte Marktstudie des Vereins Swiss Sustainable Finance, des grössten Zusammenschlusses von Finanzmarktakteur:innen zu «nachhaltigen Finanzflüssen» in der Schweiz. Diese seien auch im vergangenen Jahr wieder um dreizehn Prozent auf über 1,6 Milliarden Franken gewachsen, so der Verein. Doch zentral ist eben die Definition, was als nachhaltig gilt – und da bezieht sich Swiss Sustainable Finance hauptsächlich auf die lasche Definition der Schweizerischen Bankiervereinigung.
Dabei klang vor nur wenigen Jahren alles noch ganz anders. Spätestens seit dem Aufkommen der Klimabewegung 2019 war Sustainable Finance ein Versprechen. Die Lenkung der Finanzflüsse, so die Botschaft, sei ein Hebel, um die Realwirtschaft umzukrempeln. «Opportunities» lautete das Schlagwort. Man wollte die Gunst der Stunde nutzen und zugleich den Forderungen nach Regulierung und dem neu erwachten Bedürfnis nach nachhaltigen Anlagemöglichkeiten nachkommen. Das Magische daran: Die Rendite sollte gleich bleiben. «Doing good by doing well»; «Social Entrepreneurship»; «Triple Bottom Line: People, Planet, Profit»; «Conscious Capitalism»; «Environmental, Social and Governance». Die Begriffe dafür boomten ebenso wie die Nachhaltigkeitsabteilungen bei Finanzinstituten.
Das zeigte sich auch im Schweizer Selbstverständnis: Stolz trat der damalige Finanzminister Ueli Maurer 2021 kurz vor der Abreise an die Klimakonferenz in Glasgow vor die Kamera und sagte: «Der Schweizer Finanzplatz gehört wahrscheinlich zu den grünsten.» Maurer reiste nicht alleine nach Glasgow, mit ihm im Bundesratsjet waren Umweltministerin Simonetta Sommaruga und Wirtschaftsminister Guy Parmelin, Bundespräsident zu dieser Zeit. Eine gewichtige Delegation, um Klimaanliegen zu besprechen. Der Bundesrat hatte sich kurz zuvor das offizielle Ziel gesetzt, die Position der Schweiz als führender Standort für nachhaltige Finanzen zu festigen. Zwei Wochen später folgte die Strategie des Bundesrats für einen nachhaltigen Schweizer Finanzplatz bis 2025. Doch in ebendiesem beschloss der Bundesrat, weitgehend auf staatliche Regulierung zu verzichten und diese der Branche selbst zu überlassen.
Mainstreaming gescheitert
Heute neigt sich die Strategieperiode bis 2025 dem Ende zu. Stephan Kellenberger, der beim WWF Schweiz im Bereich Sustainable Finance arbeitet, spricht von einem Scheitern des sogenannten Mainstreaming-Ansatzes. Die Idee sei gewesen, dass möglichst viele Akteur:innen von sich aus auf den Zug aufspringen würden und dies einen Schneeballeffekt auslöse. «Nun sehen wir das Gegenteil», meint der Finanzexperte mit Verweis auf die oben beschriebenen Entwicklungen. Grund dafür sei einerseits die vor allem in den USA virulente Antinachhaltigkeitsdebatte, andererseits die zurzeit vergleichsweise tiefere Rendite von Nachhaltigkeitsfonds. Kellenberger war deshalb in den vergangenen Jahren an der Erarbeitung der Finanzplatz-Initiative beteiligt. Diese will eine, wenn auch sanfte, doch rechtlich bindende Nachhaltigkeitsregulierung der Finanzindustrie. «Die Finanzplatzinitiative schafft die nötige Verbindlichkeit», sagt der WWF-Finanzexperte. «Wir kommen mit Freiwilligkeit und Selbstregulierung ohne unabhängige Aufsicht nicht ans Ziel.»
Noch kritischer ist Nachhaltigkeitsberater Diaz, der seit Jahrzehnten im Geschäft ist: «Vielleicht war es keine gute Idee, dem Finanzsektor so viel Verantwortung aufzubürden.» Es werde immer um Profit gehen, und «wenn dieses Thema keinen Profit mehr abwirft, wird es abflauen». Jene, die es ernst meinten, würden dranbleiben, der Rest die Bedeutung des Themas runterschrauben.
Florian Brunner ist überzeugt: «Kapital hat einen enormen Einfluss auf die Welt, in der wir leben – ob wir wollen oder nicht.» Doch sei es noch immer ein Tabu, darüber zu reden, «wie viel Geld ich verdiene, wie viel ich erbe, wie viel ich besitze». «Darüber zu sprechen, wäre der erste Schritt, um endlich mitreden und klare Forderungen stellen zu können.»