Sexarbeit: «Das Geglotze nach Schweden regt mich auf»
Seit Jahren analysiert Sexarbeiter:in Ruby Rebelde den medialen Diskurs rund um Sexarbeit – auch im kürzlich erschienenen Buch «Warum sie uns hassen». Ein Gespräch über Menschenhandel, Scheinargumente und das «Prostitutionstheater».

WOZ: Ruby Rebelde, Sexarbeit ist Ihr Beruf. Wann wurden Sie zuletzt dafür angefeindet?
Ruby Rebelde: Im direkten Kontakt mit Kunden passiert mir das als sexarbeitende Person sehr selten. Dafür werde ich ständig für Äusserungen angegriffen, die ich öffentlich irgendwo gemacht habe. Das Problem ist also nicht, dass ich meinen Beruf mache, sondern dass ich darüber spreche.
WOZ: In Ihrer vor kurzem erschienenen Streitschrift «Warum sie uns hassen» schildern Sie Ihr erzwungenes Outing, nachdem Sie jahrelang ein Doppelleben geführt hatten.
Ruby Rebelde: Damals, vor gut zehn Jahren, arbeitete ich auf einem Landwirtschaftsbetrieb, wo ich bei einer Wochenarbeitszeit von 42 Stunden 5,50 Euro pro Stunde verdiente. Weil ich BaföG-Schulden hatte, die ich als Working Poor nicht zurückzahlen konnte, hatte ich angefangen, mir mit Sexarbeit etwas dazuzuverdienen. Jemand kam dahinter und erzählte es herum. Das war folgenreich …
WOZ: Was ist passiert?
Ruby Rebelde: Die Autoreifen wurden mir aufgestochen, auf die Rückscheibe meines Autos wurde «Hure» geschmiert – solche Dinge. Noch viel schlimmer als das war aber, dass mich die meisten Menschen aus meinem Umfeld plötzlich angeekelt und herablassend behandelten. Für die war ich von einem Moment auf den nächsten zu einer anderen Person geworden. Nach einem halben Jahr kündigte ich und zog weg.
Aktivist:in und Autor:in
Ruby Rebelde ist BDSM-Sexarbeiter:in, Aktivist:in, Social-Justice-Trainer:in und Autor:in. Rebelde lebt in Deutschland und forscht zurzeit insbesondere zu Antifeminismus und der extremen Rechten und macht als Mitgründer:in des Kollektivs Fundiwatch Aufklärungsarbeit zu christlich-fundamentalistischen Ideologien. «Warum sie uns hassen» ist dieses Jahr beim Verlag Edition Assemblage erschienen. Rebelde liest am Donnerstag, 27. November 2025, im «Neubad» in Luzern und am Samstag, 29. November 2025, im «Kreuz» in Solothurn.
WOZ: Und dann fingen Sie an, sich politisch zu engagieren?
Ruby Rebelde: Ich brauchte einige Zeit, um wieder auf die Füsse zu kommen und zu verstehen, was passiert war. Politisch aktiv wurde ich erst zwei Jahre später, kurz nachdem in Deutschland 2017 das sogenannte Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) in Kraft getreten war. Ich trat dem «Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen» bei, aus dem ich später allerdings wieder austrat. Während der Coronapandemie fing ich an, mich spezifisch mit der Medienberichterstattung zum Thema Sexarbeit zu befassen.
WOZ: Diese untersuchen Sie im Buch. Gab es einen bestimmten Artikel, der diese Arbeit ausgelöst hatte?
Ruby Rebelde: Es war eher die schiere Menge an Artikeln, die teilweise richtig überfordernd war. Ich fing an, ein Pressearchiv zu führen, und dachte mir: Okay, da schmeisse ich jetzt mal 50 Artikel rein. Am Ende waren es 650 aus einem einzigen Jahr – allein Texte aus deutschen Medien. Eine surreal hohe Zahl.
WOZ: Einer Ihrer zentralen Analysebegriffe ist der des Prostitutionstheaters. Wieso Theater?
Ruby Rebelde: Das ist eine Anlehnung an Max Czolleks Begriff des Integrationstheaters. Wie die Migrationsdebatte läuft auch die mediale Berichterstattung zu Sexarbeit und Menschenhandel in Deutschland – und zunehmend auch in Österreich und der Schweiz – nach einem bestimmten Muster ab, das etwas sehr Szenisches hat. Alle, die auf die mediale Bühne zitiert werden – Polizist:innen, Expert:innen, Politiker:innen –, werden als bestimmte Funktionsträger:innen in dieses Stück integriert. Der Plot ist immer die Frage: Darf es «das» – also Sexarbeit – geben?
WOZ: Eine rhetorische Frage.
Ruby Rebelde: Ja. Die Komplexität wird damit auf ein simples Ja oder Nein reduziert. Gleichzeitig wird suggeriert, dass diejenigen, die die Frage mit Ja beantworten, eine kleine Randmeinung vertreten – und die anderen die breite Masse. Das ist das Drama des Prostitutionstheaters: Die Debatte ist stark moralisch aufgeladen und polarisiert. Das war nicht immer so, sondern hat sich in den letzten Jahren verstärkt.
WOZ: Eine Zäsur in dieser Hinsicht war Alice Schwarzers «Appell gegen Prostitution», eine sexarbeitsfeindliche Kampagne, die sie 2013 in ihrer Zeitschrift «Emma» lancierte. Seither seien Ressentiments und Klischees viel sagbarer geworden, schreiben Sie.
Ruby Rebelde: Mit der Kampagne fing eine ziemlich konzertierte Bewegung an, das Thema forciert in den Medien zu verhandeln. Das lässt sich an bestimmten Begriffen festmachen. Der Begriff «Sexarbeit» zum Beispiel war im Zeitraum von 2000 bis 2012 in den deutschen Medien deutlich verbreiteter als heute. Heute wird er vermehrt in Anführungsstriche gesetzt. Sexarbeitsgegner:innen verballhornen ihn, indem sie «Sexwörker:innen» schreiben. Mit einer Selbstbezeichnung so respektlos umzugehen, finde ich schwierig.

WOZ: Der Begriff «Sexarbeit» wurde in den 1970er Jahren geprägt, um den Dienstleistungs- und Lohnarbeitscharakter von Sexarbeit hervorzuheben. Zur selben Zeit wurde der Kampf gegen Sexarbeit als Form der Ausbeutung von Frauenkörpern zu einem viel diskutierten Thema innerhalb der feministischen Bewegung. Wieso hält sich diese Ablehnung so hartnäckig?
Ruby Rebelde: Wir Sexarbeiter:innen werden als eine Bedrohung für die Gesellschaft wahrgenommen, das geht auf lange gefühlte vermeintliche Wahrheiten und Feindseligkeiten zurück. Inhaltsleere Slogans wie «Prostitution ist immer Gewalt» knüpfen daran an. Mit solchen Slogans werden Meinungen zu vermeintlichen Fakten, Leute stimmen dem aus dem Bauch heraus zu, weil sie selbst wenig wissen und viele Vorurteile haben.
WOZ: Wobei sich ja schon argumentieren liesse, dass das Patriarchat ein inhärent gewaltvolles System ist – und Sexarbeit nun mal Teil oder sogar Ausdruck davon.
Ruby Rebelde: Ich stimme diesem Satz zu. Aber wohin führt er uns? Wir können das Patriarchat nicht von heute auf morgen abschaffen. In der Zwischenzeit wäre es gut, etwas für die Rechte von Sexarbeiter:innen, aber auch von anderen marginalisierten Gruppen zu tun. Damit meine ich auch Opfer von Menschenhandel, die von sexueller Ausbeutung oder von sexueller Zwangsarbeit betroffen sind und denen wir Alternativen und Schutz bieten müssen. Solche sehr allgemeinen Äusserungen wie «Prostitution ist immer Gewalt» helfen da nicht weiter. Das sind häufig Entlastungsstrategien, die davon abhalten, sich ernsthaft mit dem Thema zu beschäftigen.
WOZ: Im Gegensatz zu Alice Schwarzer unterscheiden Sie sehr klar zwischen Sexarbeit und sexueller Zwangsarbeit. Wieso ist diese begriffliche Differenzierung wichtig?
Ruby Rebelde: Erstens ist Menschenhandel ein Thema, das nicht nur die Sexarbeit betrifft. Er ist auch auf dem Bau, in der Pflege oder in Nagelstudios weitverbreitet. Darüber wird aber wenig gesprochen. «Prostitution und Menschenhandel» klickt einfach besser.
WOZ: Und zweitens?
Ruby Rebelde: … ist es wichtig zu unterscheiden, was eine konsensuelle Dienstleistung ist und wo Zwang und Ausbeutung anfangen. Das ist schwierig genug. Trotzdem bringt es den Menschen auf dem Bau oder in der Pflege nichts, wenn mit der Sexarbeit eine freiwillige, konsensuelle Dienstleistung verboten wird. Auch Menschen, die von sexueller Zwangsarbeit betroffen sind, haben nichts davon. Die Verbotserzählung ist reine Symbolpolitik: Da werden ein paar politische Schrauben gestellt, damit gesagt werden kann: «Guck mal, wir haben was für Frauenrechte getan.»
WOZ: Sie sagten, dass Sie mit der Sexarbeit angefangen haben, weil Sie Schulden abbezahlen mussten. Das war auch nicht eine Entscheidung aus komplett freien Stücken, oder?
Ruby Rebelde: Also freiwillig war das ohnehin nicht. Viele Entscheidungen, die wir treffen, sind mit Druck verbunden, gerade wenn es um Geld geht. Ich habe nie darum gebeten, mir diese Schulden aufzubürden, um zu studieren. Gleichzeitig hatte ich schon während meines Studiums darüber nachgedacht, ob Sexarbeit nicht ein guter Weg wäre, in einem überschaubaren Zeitrahmen einigermassen akzeptables Geld zu verdienen. Als ich später meine Schulden zurückzahlen musste, hätte ich mir statt der Sexarbeit auch irgendeinen weiteren scheissbezahlten Job aussuchen können. Einen hatte ich damals ja schon.
WOZ: Sexarbeitsfeindlichkeit ist oft verdeckte Armutsfeindlichkeit. In Ihrem Buch stellen Sie fest, dass Klassismus in Analysen über Sexarbeit nur eine untergeordnete Rolle spiele.
Ruby Rebelde: Sexarbeit ist für viele wirklich prekär, und ich will meine Situation nicht vergleichen mit derjenigen einer Person, die damit ihren Substanzenkonsum finanziert oder wohnungslos ist und so ihr Überleben sichert. Aber auf eine Art ist sie zumindest ähnlich gelagert. Der Punkt ist, dass es bei der Sexarbeit häufig um materielle Fragestellungen geht – um Working Poor, um Alleinerziehende, die auf einen Zusatzverdienst angewiesen sind. Das ist bisher wenig verstanden worden.
WOZ: In den Medien wird immer wieder die US-amerikanische Psychologin Melissa Farley zitiert, die in einer Studie zum Schluss kam, dass 95 Prozent der Sexarbeiter:innen aussteigen würden, wenn sie könnten …
Ruby Rebelde: Ich habe grosse Zweifel, ob solche Studien bei näherer Betrachtung wissenschaftlichen Ansprüchen standhalten. Melissa Farley wird auch von Forschenden für ihre Arbeitsweise kritisiert. Die Quellenlage ist oft unklar, ihre Fragestellungen sind manipulativ. Wenn man sich mit ihrer Biografie beschäftigt, verwundert das nicht: Von ihr sind in den letzten Jahren Dutzende Publikationen gegen Pornografie und Prostitution erschienen, sie ist eng verbunden mit der Antisexarbeitsbewegung.
WOZ: Trotzdem verfangen solche Narrative und verbreiten sich weiter. Was lässt sich dem entgegensetzen?
Schwierig: Wie kämpft man gegen ein Phantom an? Erzählungen werden aufgebauscht und halten sich oft auch dann, wenn sie sich im Nachhinein als fingiert oder zugespitzt herausstellen. Die Medienwissenschaftler:innen Samira El Ouassil und Friedemann Karig haben in ihrem Buch «Erzählende Affen» untersucht, wie Geschichten unser Leben bestimmen. Und festgestellt: Wir sind eben auch nur erzählende Affen. Deshalb wäre es wichtig, anders gelagerte Erzählungen zu haben, die nicht so polar gestrickt sind wie das Prostitutionstheater. Solche, die die Vielschichtigkeit im Leben von sexarbeitenden Menschen sichtbar machen.
WOZ: Sie kritisieren auch die «Freiwilligkeitserzählung», die manche Vertreter:innen der Sexarbeitsbranche bedienen: dass alles super sei, es keine Probleme gebe.
Ruby Rebelde: Das funktioniert nicht, weil es antifeministischen und rechten Narrativen nichts entgegensetzt. Wir brauchen Erzählungen, die konkrete Situationen beschreiben und beispielsweise sichtbar machen, in welchen Lagen sich Menschen befinden, wenn sie Opfer von Menschenhandel werden. Das sind alles keine leichten oder einfach konsumierbaren Geschichten, und es ist schwierig, in dieser Zeit der mangelnden Ambivalenz eine vielfältige Realität zu repräsentieren. Ich wünsche mir mehr Verständnis dafür, wie komplex dieses Thema ist. Es ist nicht nur «Happy Hooker», es ist aber ganz sicher auch nicht nur «Prostitution ist Gewalt».
WOZ: Was ist überhaupt alles Sexarbeit? Da fangen die Missverständnisse ja schon an.
Ruby Rebelde: In dieser Frage spielen Hierarchien – die «whorearchy» – eine wichtige Rolle. Sexarbeit machen Menschen, die im weitesten Sinne sexarbeitsbezogenen Tätigkeiten nachgehen. Dazu gehören Pornodarsteller:innen ebenso wie Personen, die Sexualbegleitungen für ältere oder behinderte Menschen anbieten. Gerade in der inklusiven Sexarbeit gibt es aber Personen, die ihre eigene Arbeit aufwerten, indem sie sich vom Begriff abgrenzen. Oder solche, die in einem BDSM-Studio arbeiten und finden, sie machen keine Sexarbeit, weil sie keine Schwänze anfassen. Das finde ich problematisch, weil es uns Sexarbeiter:innen entsolidarisiert. Und natürlich machen Menschen auch aus prekären Gründen Sexarbeit. Sie davon auszunehmen, führt dazu, dass wir die Vielfalt nicht sehen.
WOZ: Sie haben Kunstgeschichte und Literaturwissenschaften studiert, arbeiten heute als selbstständige Domina. Als Aktivist:in sind Sie in der Öffentlichkeit präsent, Sie machen auch Bildungsarbeit. Wie gehen Sie damit um, dass Ihnen im Prostitutionstheater deshalb eine Nebenrolle als Vertreterin einer privilegierten Minderheit zugeschrieben wird?
Ruby Rebelde: Mittlerweile sage ich mir: Die Leute gucken auch nur von aussen auf mich drauf. Sie kennen meine Marginalisierungs- und Diskriminierungserfahrungen nicht. Ich lebe jedenfalls nicht auf grossem Fuss, so viel kann ich sagen. Es ist schon ein Struggle.
WOZ: Sie weisen immer wieder auf den Zusammenhang von Migrationspolitik und ordnungspolitischem Umgang mit Sexarbeit hin. Das sogenannte nordische Modell, das den Kauf sexueller Dienstleistungen kriminalisiert, bezeichnen Sie als «Migrationspolitik durch die Hintertür».
Ruby Rebelde: Restriktive Massnahmen in der «Prostitution» – ich verwende jetzt den offiziellen Begriff – sind immer auch Massnahmen, um Migration zu begrenzen. In Schweden werden illegalisierte Menschen, die Sexarbeit machen, abgeschoben. Punkt. Der Schutzgedanke, den Schweden dem Namen nach in den Vordergrund stellt, endet an der Grenze. Das ist aber nicht nur dort so, sondern in vielen Prostitutionsregimes. In Deutschland verpflichtet das Prostituiertenschutzgesetz dazu, eine Meldeadresse und eine Arbeitserlaubnis vorzulegen. Prekarisierte Sexarbeiter:innen können das oft nicht. Aber sie sind ja auch nicht die erwünschten Migrant:innen. Erwünscht sind Facharbeiter:innen, hochqualifizierte Leute, die den Staat vermeintlich vorwärtsbringen.
WOZ: Sie bezeichnen solche ordnungspolitischen Massnahmen als «Kontrollfiktion».
Ruby Rebelde: Das Global Network of Sex Work Projects (NSWP) hat eine Karte publiziert, die einen Überblick über die globalen Prostitutionsregimes bietet. Länder, in denen Sexarbeit kriminalisiert ist – durch ein komplettes Verbot oder ein Verbot der Angebots- oder der Nachfrageseite –, sind rot eingefärbt. Fast die ganze Welt ist rot. Hat das etwas dazu beigetragen, dass es weniger Sexarbeit und weniger Menschenhandel gibt? Nein. Weil das nicht die Ebene ist, auf der wir etwas dafür tun können, dass weniger Menschen diese Arbeit ausüben müssen. Nur ist es halt wesentlich schwieriger, etwas gegen Armut und Migrationsunrecht zu unternehmen, als zu krähen: «Das muss weg!»
WOZ: Apropos krähen: In der Schweiz hat das nordische Modell kaum Unterstützer:innen. Im Nationalrat wurde 2022 eine entsprechende Motion der EVP mit 172 zu 11 Stimmen abgelehnt. In der medialen Debatte ist es aber sehr präsent.
Ruby Rebelde: Wissenschaftlich und zivilgesellschaftlich ist die Verbotsforderung eine Randmeinung. Das zeigt, dass die Antisexarbeitsallianzen auch in der Schweiz gelernt haben, wie man eine erfolgreiche Kampagne fährt. Sie wissen, welche Geschichten verfangen, wie man Themen setzt und vermittelt, zum Beispiel mit den Stockfotos von Plateauschuhen oder Netzstrümpfen, die ein sehr stereotypes Bild von Sexarbeit vermitteln. Ausserdem treten medial oft dieselben Personen in unterschiedlichen Rollen und Funktionen auf – Politiker:innen etwa, die gleichzeitig im Vorstand sexarbeitsfeindlicher Vereine sitzen –, was den falschen Eindruck erweckt, dass es viele seien.
Ruby Rebelde: Das Aufplustern von Argumenten ist aber auch für mich eine Herausforderung.
WOZ: Inwiefern?
Ruby Rebelde: Weil ich sie nicht wiederholen will. Manchmal lässt es sich nicht vermeiden, um sie zu widerlegen. Aber das ständige Geglotze nach Schweden regt mich auf. Das sogenannte nordische Modell hat in 25 Jahren keine Verbesserungen gebracht – trotzdem gibt es auch in der Schweiz Leute, die sich damit profilieren.
WOZ: Eine prominente Fürsprecherin dieses Modells ist die Zürcher Frauenzentrale. Sie arbeitet dazu mit dem Verein Heartwings zusammen, dem Freikirchennähe nachgesagt wird.
Ruby Rebelde: Die Antisexarbeitsallianzen speisen sich aus ganz unterschiedlichen politischen Bewegungen. Dazu gehören Ultrakonservative und christliche Fundamentalist:innen – also Freikirchen und Evangelikale –, für die das Ganze eher ein sexualmoralisches Problem ist. Dann gibt es die sogenannten Radikalfeministinnen wie Alice Schwarzer oder die Frauenzentrale sowie eine linke Sexarbeitsfeindlichkeit, die Huren als Steigbügelhalter des Kapitalismus und des Patriarchats markieren. All diese Bewegungen versammeln sich am «Lagerfeuer der Anständigen», wie ich es nenne. Darin, dass Prostitution abgeschafft werden müsse, verstehen sie sich.
WOZ: Sie bezeichnen Sexarbeitsfeindlichkeit auch als Brückenideologie. Was meinen Sie damit?
Ruby Rebelde: In der Haltung, dass Sexarbeiter:innen zu Recht aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden und dass es «das» nicht geben darf, kommt eine Vorstellung von Ungleichwertigkeit zum Ausdruck, wie sie auch in der extremen Rechten vertreten wird. Darüber sind sich die Antisexarbeitsallianzen nicht im Klaren. Es ist aber wichtig, solche Muster im Blick zu behalten, denn die Faschisierung der Gesellschaft ist kein Problem der Ränder, es ist eins der Mitte.
Manche Sexarbeitsgegner:innen verwenden den Begriff «Prostitutionslobby». Sie haben in einem Vortrag gesagt, dahinter stecke eine «strukturell antisemitisch konnotierte Verschwörungserzählung». Dafür wurden Sie von einem sexarbeitsfeindlichen Verein verklagt.
Ruby Rebelde: Dahinter stecken komplexe Zusammenhänge, und es ist wichtig, das sauber zu formulieren. Ich habe nicht gesagt, dass Menschen, die den Begriff «Prostitutionslobby» verwenden, Antisemit:innen seien. Aber in der Debatte, die ich analysiere, spielt die Vorstellung einer «Lobby» nun mal eine grosse Rolle. Im Nationalsozialismus wurden jüdische Menschen für die Existenz von Prostitution und Frauenhandel verantwortlich gemacht. Der Begriff hat historisch eine rassistische und antisemitische Dimension, und das sollte man wissen, wenn man ihn verwendet. Das heisst nicht, dass ich die Antisexarbeitsbewegung mit dem Nationalsozialismus gleichsetze. Die Klage, die seit über zwei Jahren läuft, ist absurd.
WOZ: Sie bezeichnen die Klage als strategisch.
Ruby Rebelde: «Lawfare» – also die Praxis, auf Gesetzesebene gegen Sexarbeit vorzugehen – ist eine wichtige Strategie der Sexarbeitsgegner:innen. Ich spreche oft von «Strafrechtsfeminismus», weil das kein Feminismus ist, der ermöglichen will, sondern einer, der verbietet. Dazu gehört der Versuch, die Gesetzgebung zur Prostitution zu verschärfen, ebenso wie Einschüchterungsklagen gegen Einzelpersonen wie in meinem Fall. Ein weiteres Spielfeld dieses Strafrechtsfeminismus ist, die sexuelle und die geschlechtliche Selbstbestimmung einzuschränken, also die Rechte von queeren, trans, inter und nichtbinären Menschen.
WOZ: «Warum sie uns hassen» liest sich nicht zuletzt als Plädoyer für eine starke und solidarische Sexarbeitsbewegung. Wie kann es gelingen, gerade auch prekarisierte, illegalisierte Sexarbeiter:innen in diese Bewegung einzubinden?
Ruby Rebelde: In feministischen und emanzipatorischen Bewegungen ist es wichtig, Barrieren und Hierarchien abzubauen. Das setzt die Bereitschaft voraus, sich mit Problemen auseinanderzusetzen, die einen nicht direkt betreffen. In der Bewegung muss es ein Umdenken geben: Wem räumen wir Deutungshoheit ein über das, was wir fühlen, wie wir begehren, wie wir uns streiten?
Ruby Rebelde: Mir ist wichtig, dass auch die Leser:innen dieses Gesprächs weiterdenken: Wie findet das Thema Sexarbeit in ihrem Umfeld statt? Wo gibt es Prostitutionsstätten? Dafür ist es für sie unabdingbar, mit Sexarbeiter:innen aus der Schweiz ins Gespräch zu kommen. Dass ich hier ein paar Sachen sage, kann das nicht ersetzen.